Lisboa 2018

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Samstag, 19. März 2016

Griechenlands utopischer Wahnsinn

Wieder einmal schafft es Griechenland trotz klammer staatlichen Kassen, die Teilnahmegebühr für den ESC aufzutreiben. Seit fünf Jahren hat Griechenland mittlerweile die Probleme, diese Summe irgendwie aufzutreiben. 2012 kümmerte man sich selbstlos nicht um das eigene Bild in Europa und vollzog den Vorentscheid nicht in einem Studio, sondern mitten in einem Einkaufszentrum. Seit 2013 kooperierte der Staatssender für den Vorentscheid mit einem Privatsender, also so ähnlich wie in Deutschland in den Jahren 2010-2012, in denen die ARD und PRO7 eine solche Symbiose eingingen. Doch dieses Jahr macht Griechenland alles anders...

Griechenland ist eines der 3 absolut 100%-igen Semifinalbewältiger, neben drei relativen. Die absoluten nahmen an jedem Semifinale seit 2004 teil, die relativen hatten mindestens ein Jahr Pause. Neben Griechenland gehören Russland und Rumänien zu den absoluten und Aserbaidschan, Bonsien und die Ukraine zu den relativen Semifinalbewältigern. Griechenland nahm erstmals 1974 teil und wird in Stockholm die 37. Teilnahme feiern. Unzählige Top-10 Ergebnisse wurden durch den Sieg 2005 natürlich in den Schatten gestellt. Darauf hielt sich das Land bis 2012 immer in den Top-10. Ab 2013 setzte aber der langsame Abstieg der griechischen Ergebnisse ein, zeitgleich mit den Imageproblemen bei den anderen europäischen Ländern. Zusammenhang möglich.

Während also die Kooperationen mit dem Privatsender keine Lorbeeren nach Athen entsandte, wurde diese Partnerschaft beendet. Offenbar gab der griechische Rundfunk den Griechen die Schuld an den schlechten Erlebnissen, den diese wurden nun von der Entscheidungsgewalt befreit und die Anstalt ernannte direkt den griechischen Act.


Hier der griechische Beitrag beim 61. ESC in Stockholm, Argo - Utopian Land:



Ok. Bevor man jetzt die Einschätzung ließt, sollte man sich das Lied ein zweites Mal gönnen. Das klingt jetzt erst einmal menschenverachtend, aber es lohnt sich. In der Zwischenzeit hier die namentliche Erwähnung der Mitglieder.

Die Band nennt sich Argo und wurde im Sommer des Jahres 2011 gegründet, also ist die Truppe noch nicht all zu lange zusammen. Die 5 Mitglieder heißen Vladimiros Sofianidis (aus Georgien, genauer Sochumi), Christina Lachana (ebenfalls aus Sochumi), Ilias Kesidis (Sochumi), Konstantinos Topouzis und Alexandros Papadopoulos (Geburtsort unbekannt) und Maria Elbrus (Russland). Alle geben an große Fans der pontischen Musik zu sein und schreiben daher eigentlich ausschließlich auf dieser Sprache. Für den ESC, bei dem Pontisch noch nie vorgetragen wurde, bedienen sie sich allerdings an einem Sprachentriplett aus Pontisch, Englisch und Griechisch. 

Das Lied ist sehr sehr sonderbar und steht nicht für die übliche griechische Lockerheit, die von ihnen beim ESC oft zelebriert werden. Im Text geht es unter anderem um die Finanzkrise und die aktuelle Situation der Flüchtlinge. Die Botschaft ist allerdings im Vergleich zum ukrainischen Beitrag, deutlich versteckter und fällt kaum auf.

Den Musikstil zu beschreiben ist wohl eine Aufgabe für zukünftige Generationen. Traditioneller Indiepop, mit Rapeinfluss? Das ist jetzt keine ausgesprochen fancy Bezeichnung, aber treffend.

Der Beginn lässt auf eine typische Balkanballade tippen. Aber es wird auf Englisch gesungen und die Frau wird von lauten Trommelschlägen unterstützt. Danach folgt ein Rap, der von einem R&B Beat unterstützt wird. Der Refrain ist dann doch relativ eingängig, aber das war es dann noch nicht aus dem griechischen Kreuzungslabor. In der Bridge verbinden sich beide Beats und das wirkt irgendwie seltsam. 

Dieser sehr eigenwillige Beitrag kommt bisher nicht sehr gut bei den ESC-Fans an und es wird schon darüber spekuliert, ob Griechenland damit aus dem 100%-Club raus fliegt. Mir persönlich gefällt das Lied relativ gut, ich habe aber 2 bis 3 Durchläufe gebraucht um es zu mögen. Der Rap harmoniert dann doch gar nicht mal schlecht mit dem Rest und der Refrain ist eingängig.

Ein großes Rätsel ist natürlich die Bühnenpräsentation. Das Video zeigt nur einen blanken Griechen in Zeitlupe rennen, also liefert uns das keine Hinweise. Tänzer oder Darsteller kann es keine geben, da es ja 6 Bandmitglieder sind. Allerdings sollte klar sein, dass dieser Song über die Show kommen muss. Es eignet sich durch die verschiedenen Einflüsse eigentlich auch gut dafür. Ich würde etwas in Richtung Natur und griechischer Historie in die Präsentation einfließen lassen. Womöglich auch aktuelle Bilder mit Flüchtlingen, um darauf noch einmal Aufmerksam zu machen.

Griechenland macht es sich nicht nur politisch nicht einfach. Auch beim ESC versuchen sie mit einer eigenwilligen Politik, möglichst viele Geld Punkte abzustauben. Ob das etwas werden kann wird sich im Verlaufe der Probewoche zeigen. Der ESC-Gott dramatisiert die Zukunft Griechenlands zusätzlich. Diese müssen nämlich in der ersten Hälfte starten und müssen ohne die Hilfe ihrer 3 Nachbarländer Bulgarien, Albanien und Mazedonien durchkommen. Nur Zypern wird den Griechen voraussichtlich eine mit 12 Punkten dosierte Notspritze geben. 

Die Griechen spielen nun auch beim ESC mit dem Feuer. Trotzdem sollte man den Finaleinzug nicht als unerreichbar einschätzen. Eine gute Finalplatzierung in den Top10 halte ich allerdings für ein utopisches Ziel. 

UPDATE: 20.03.16: Als ob ich es gerochen hätte. Argo hat sich verkleinert, um einen pontischen Tanz auf der Bühne aufführen zu können. Getroffen hat es den Sänger Ilias Kesides, der immer noch Mitglied der Band bleibt, allerdings nicht auf der Bühne stehen wird. Eine vernünftige Entscheidung, wenn er keine tragende Rolle beim Lied spielt. Durch den Tänzer wird die Atmosphäre noch besser verkauft werden. Also der erste gute Tag für Griechenland seit Jahren.

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