Lisboa 2018

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Samstag, 17. März 2018

Schweiz gegen Cybermobbing und steinzeitliches Verhalten

Das Land, das Celine Dion, Vanilla Ninja und DJ BoBo in den erlesenen Kreis der Teilnehmer am Eurovision Song Contest aufsteigen ließ, sucht seit einigen Jahren die Form vergangener Tage. Nun soll endlich 2018 der Umschwung gelingen und das durch eine rundum Schweizer Produktion, ein Geschwisterpaar und dem Lied Stones


Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=jXOlPGnkZFY
Die ESC-Vergangenheit:

Die Schweiz kann man ohne Probleme als das Mutterland des ESC´s betrachten, da 1956 die einstige Idee in die Tat umgesetzt wurde. Ohne unseren neutralen südlichen Nachbarn hätte die Auswahl eines Austragungsortes im immer noch durch Krieg geschüttelten Europa zum Problem werden können. Den Heimsieg ließ die Schweiz sich ebenso nicht nehmen. Darüber hinaus konnte die Schweiz ein weiteres Mal den Pokal nach Hause bringen, als die (wie immer an dieser Stelle erwähnte) Celine Dion 1988 mit nur einem Pünktchen Vorsprung gewann. Danach gelang noch ein Dritter Platz, aber der Schwung war weg. In den vergangenen 10 Jahren wurde nur 2 Mal das Finale erreicht mit den Positionen 25 (2011) und 13 (2014). In diesem Zeitraum wurde sogar ganze 3 Mal der Letzte Platz im Semi erreicht, 2015 und 2016 sogar in Folge. Auch die hoch gewettete Band Timebelle konnte 2017 die Wende nicht schaffen und schied als 12. mit nur 4 Punkten Rückstand auf die Finalplätze aus. Nun soll mit der 59. Teilnahme endlich der erste Finalplatz seit 2014  erreicht werden. 

Die Auswahl:

Die Schweiz veranstaltet seit 2011 Die große Entscheidungsshow, dessen Sieger für die Schweiz beim Song Contest antreten darf. In den vergangenen Jahren wurden die Startplätze den regionalen Sendern verhältnismäßig aufgeteilt, die dann frei entscheiden konnten, wer diese Plätze ausfüllt. Dieses Konzept wurde 2017 aufgegeben und 2018 erneut bearbeitet. Zusammen mit der Schwedischen ESC-Größe Christer Björkmann wurde eine öffentliche Ausschreibung für Komponisten und Sänger getätigt, wobei nicht jeder Komponist auch einen Sänger präsentieren musste. Der Sinn dahinter war, dass der Fokus der Auswahl mehr auf den Song gelegt wird, als auf den Künstler. Intern wurden daraufhin 6 Künstler ausgewählt, die Anfang Februar gegeneinander antraten.

Die Änderungen in der internen Auswahl der Beiträge lohnte sich und es gab einen hochwertigen Vorentscheid, der sich qualitativ deutlich von den letzten Jahren abheben konnte. Auch wurde der Fokus auf die Inszenierung gesetzt, was natürlich ein riesiger Vorteil für den ESC ist. Unter den 6 Teilnehmern wurde recht schnell in den Foren ein Favorit auserkoren (Haha Reim) und dieser war auch der spätere Sieger: ZiBBZ. Dieser Favoritenrolle wurden sie trotz des Startplatzes 1 gerecht und gewannen sowohl das Juryvoting (knapp mit 2 Punkten) als auch das Televoting (Sehr deutlich mit fast 30 Punkten Vorsprung). Somit konnte ohne den Hauch von Drama die Show beendet werden und die Schweiz schien glücklich.


Die Künstler:

Hinter dem Künstlernamen ZiBBZ (je nach Quelle Zibbz) steckt das Geschwisterduo Corinne 'Co' Gfeller und Stefan 'Stee' Gfeller. Während Co für den Gesang zuständig ist, kümmert sich ihr Bruder Stee um den Rest (Schlagzeug, Percussion & Klavier). die Band gründete sich 2008 und ihr Name ist eine fancy dancy Abwandlung des Englischen Siblings, also Geschwister. Auf ordentlich Erfahrung können die beiden auf jeden Fall zurückgreifen. Co besitzt einen Abschluss der Laine Theatre School (Musicalausbildung) in London, auf der auch Viktoria Beckham war, dazu ist sie auf einigen namenhaften Alben als Backgroundstimme zu hören und textete auch einige Lieder, unter anderem für Fergie. Stee hingegen gewann schon mit 12 Jahren diverse Preise für sein Schlagzeugspiel und gründete seine eigene Rockband. Beide zusammen fühlen sich in ihrer Wahlheimat Los Angeles am wohlsten, wo sie auch ihre Musik zum Leben erwecken. 

Als sie dann zusammen die Band zum Leben erweckten, erhielten sie gleich großen Support von einem Jugendsender, der über Jahre hinweg über sie berichtete. Zusammen brachten sie bereits 2 Alben in den Jahren 2013 und 2017 heraus, die jeweils die Top10 der Albumcharts kratzten. Außerdem brachten sie schon einige Song in Werbespots unter, so zum Beispiel für die sehr leckere Ragusa-Schokolade oder für Subaru. Der bisher größte Erfolg in der Werbebranche war wohl die Beisteuerung der offiziellen Hymne für die Unihockey-WM 2012. An mangelnder Erfahrung sollte es also nicht scheitern.


Der Song:


Hier ist der diesjährige Schweizer Beitrag "Stones" von ZiBBZ:


Der Song ist wie es sich für einen Popsong ja fast schon gehört recht typisch, weißt aber im Aufbau einige Besonderheiten auf. Vers A, Prechorus, Refrain, Vers B, Prechorus halb, Refrain, Bridge, 2x Refrain. Zu Beginn steht Co´s Stimme sehr im Vordergrund und wird durch harte Schlagzeug-Akzente, die auch Posaunen beinhalten, ergänzt. im Prechorus ist dann nur das Piano hörbar, um den Bruch zum Refrain noch stärker zu betonen. In diesem werden die Motive aus den Versen ausgebaut und generell ein lauter, aggressiver Sound hergestellt. Die Komposition verändert sich nicht all zu sehr im zweiten Durchlauf, nimmt sich selber in der Bridge allerdings deutlich zurück, wo nur der Chor im Hintergrund zu hören ist und ein Percussion Klang-Teppich. Natürlich folgt der Höhepunkt durch den einleitenden Schrei in die beiden Finalen Refrains, bei denen es Co sich natürlich nicht nehmen lässt, noch einiges an Stimmakrobatik einzubauen.

Das moderne Pop/Rock-Stück orientiert sich nah am Zahn der Zeit und könnte ohne Probleme in jeglichen Radiostationen gespielt werden. Wenn ich diesen Song einordnen müsste, dann wäre das irgendwo zwischen "Radioactive" von den Imagine Dragons und "Are we all we are" von P!nk, denn beides sind edgy Songs, mit starkem Percussion-Anteil, von denen sich "Stones" nicht verstecken muss. Der Song wurde nach dem Sieg im nationalen Vorentscheid etwas modifiziert und der Attitude-Pegel wurde ordentlich nach oben geschraubt. Somit ist es der Schweiz als eines der wenigen Ländern gelungen, einen Song mit einem Revamp tatsächlich zu verbessern. 

Komponiert und getextet haben ZiBBZ den Song selber, mit der Unterstützung von Laurell Barker. Die Kanadierin gewann schon einige Awards in den USA und Kanada und entdeckte in den letzten Jahren die Liebe zum Eurovision Song Contest. Sie steuerte 2017 2 Songs dem Britischen Vorentscheid bei, 2018 folgten dann der Fan-Favorit im britischen Vorentscheid und sogar ins Melodifestivalen schaffte sie es mit Renaida und ihrem Song "All The Feels", welcher es bis ins Finale schaffte.


Ein anderes Werk der Co-Autorin, das es sogar bis ins Finale des Melodifestivalens schaffte.

Der Text:

ZiBBZ beschreiben die Message des Songs als Hymne gegen Mobbing. Sei es in der Schule, auf der Arbeit, im Internet oder in Form von mangelnden Selbstbewusstseins. "Mobbing hindert uns daran, unser wahres Ich zu zeigen, unser Leben in vollen Zügen zu leben und zu träumen", so ZiBBZ. Dabei rufen sie auch auf eben nicht in dieses steinzeitliche Verhaltensmuster zurück zu fallen und andere Menschen mit Steinen zu bewerfen oder ihnen in den Weg zu legen. Auch sind sie überzeugt davon, dass sie mit dieser Meinung nicht alleine da stehen. Die Selbstsucht der Menschen wird ebenfalls thematisiert, da Menschen oft nur an ihren eigenen Vorteil denken. 

Hier einige Auszüge:

Wir sind so ängstlich, wir feuern sie ab
Was ist ein Leben schon wert?
Wir sind so ängstlich, wir wiederholen den Fehler,
Nur um Erster zu sein.

...

Jede Belehrung der Vergangenheit haben wir verloren

Es tut mir leid, dass ich nicht zurück versetzt werden möchte

Nein, Ich werde keine Steine werfen

Oh, weil ich weiß, dass ich nicht alleine da stehe.

...

Sie meinen anders zu denken sei der Feind

Es ist schon seit Jahrzehnten so

und ich kann nichts dagegen tun.

Die Botschaft, in allen von Cybermobbing-Zeiten, in denen man anonym erheblichen Schaden anrichten kann, ist sehr wichtig und sehr gut verpackt. Die Lyrics sind nicht zu platt oder schwach, sondern qualitativ hochwertig, was allerdings den Zugang zur Message natürlich erschwert. Nichtsdestotrotz wurde hier sowohl ein wichtiges Thema angesprochen, als eben dieses auch gut verpackt und in dieser Kategorie nimmt die Schweiz meiner Meinung nach einen der führenden Plätze in diesem Jahr ein.


Das Gesamtpaket: 


Quelle: https://youtu.be/jXOlPGnkZFY?t=2m24s

Da ZiBBZ ja im Vorentscheid antreten mussten, konnte man schon einen ersten Entwurf für das Staging betrachten. Dieses war simpel, jedoch recht effektiv. Das Geschwisterpaar stand bzw. saß jeweils in einem Dreieck, Stee´s blau, Co´s rot und auf dem Kopf. Zu Beginn steht Co noch an einem Mikrofonständer, von dem sie sich allerdings recht schnell verabschiedet und anschließend vorne ordentlich Bewegung macht. Zur Bridge haut sie sogar auf eine Trommel. Auch die LED-Wand wurde benutzt, die ja beim ESC weg fällt. außer man bringt seine eigene mit. Deren Bilder waren jedoch sehr willkürlich ausgewählt. So gab es zu Beginn Aufnahmen aus einem Wald, welcher dann im Refrain zu (was wohl?) fliegenden Steinen wurde. Auch einige Autobahnkreuze und Kamerafahrten über Straßenblocks waren zu sehen. Das einzig wirklich Relevante für den ESC war der Effekt, als fliegende Steine als Bildeinblendung über die Bühne in Richtung Zuschauer flog. Co´s Outfit war sehr dunkel gehalten, schwarze Lederhose, schwarzes Top mit Schulterpelz und ein schwarzer Hut. Dadurch kamen natürlich ihre blonden Haare richtig zu Geltung, sowie ihr rotes Fetzen-Accessoire an ihrem Oberkörper. Allerdings ging sie in den Kameraeinstellungen der ganzen Bühne etwas verloren, da der Hintergrund auch oft schwarz war.


Der Song benötigt auf jeden Fall ein recht auffälliges und passendes Staging, da die Schweiz im starken Semifinale 1 ran muss und die Finalqualifikation die Erwartung sein sollte. Die LED-Dreiecke könnten mitgenommen werden, auch wenn diese unter Umständen etwas zu wenig sein könnte. Daher würde ich mich eher an dem Video orientieren, das sehr dunkel gehalten ist, aber zum Beispiel mit Lasern arbeitet. Tänzer würde ich bei dem Song unterlassen, allerdings könnte man den Chor sichtbar auf der Bühne dar stellen, sozusagen als Antagonist der Künstler. ZiBBZ also auf der durch die LED-Dreiecke beleuchteten Seite der Dreiecke, die klar abgegrenzt zur Dunkelheit ist. In dieser Dunkelheit (Anonymität) stehen die Chorsänger als finstere Gestalten. Zum Ende hin löst sich dieser Konflikt auf und die Gestalten wandern zu ZiBBZ. Die Laser könnten hierbei aus der Gruppe heraus kommen, um gezielte Attacken auf Opfer darzustellen, siehe Scharfschützengewehre. Auch die rote Beleuchtung zum Ende des Videos finde ich schön und diese könnte man auch auf das Staging adaptieren. Das Outfit sollte edgy, aber dennoch passend sein, dabei auch noch eher finster, aber nicht zu dunkel, um auf der Bühne nicht zu verschwinden. Von daher würde ich in der Farbwahl etwas mehr auf das bereits vorhandene weinrot setzen oder zumindest den Hut weglassen bzw. färben.


Die Wettquoten und Chancen:

ZiBBZ sind bereits gestandene Künstler, die auf eine ordentliche Vita zurückschauen können. Somit ist ein Totalversagen beim ESC praktisch ausgeschlossen, da die beiden genug Erfahrung haben, um die Schweiz nicht zu blamieren. Symphatiepunkte gibt es außerdem für die Tatsache, dass sie ihren Song mitproduziert und geschrieben haben. Sie sind vielleicht der beste Schweizer Act seit langer Zeit, nur leider haben sie ordentlich Pech im Gepäck.

Denn sie starten im sehr starken Semifinale 1, darin in der zweiten Hälfte. Aktuell sind die Top4 der Wettquoten in diesem Semi zu finden, es könnte das stärkste Semi aller Zeiten sein. Die Schweiz, die oft eher weniger Glück mit Nachbarschaftsvoting hat, sieht sich also in mitten von vielen Favoriten. Auch können weder Frankreich, Italien noch Deutschland für sie abstimmen, da diese geschlossen im anderen Semifinale abstimmen werden. Somit bleibt mit Österreich nur ein Nachbarland, die sich aber in der Vergangenheit nicht als sonderlich spendabel erwiesen haben (So gab es 2017 nur magere 2 Pünktli) 

In den Wettquoten ergibt sich ein noch schlimmeres Bild, da sie aktuell Stand 17.03. 23:00 Uhr nur auf dem 39. Platz stehen. Vor noch 5 Tagen standen sie seit einem Monat auf dem Letzen Platz aller Teilnehmer. Somit halten die Anbieter eine Qualifikation der Schweiz nicht nur für unwahrscheinlich, sondern für beinahe ausgeschlossen. 

Meine persönliche Einschätzung ist, dass ich die Schweiz noch nicht abschreiben würde. Ich finde den Song wesentlich stärker als den letztjährigen Beitrag, der ja nur äußerst knapp gescheitert war. Natürlich ist das Semifinale auch wesentlich stärker und die Schweiz muss auf Fehler der Konkurrenz hoffen. Wären sie allerdings in Semi 2 angetreten, hätte ich ihnen sogar recht gute Chancen ausgerechnet, aber in Semi 1 wird es natürlich schwer. Vielleicht wird Christer Björkmann, der ja maßgeblich für die Reihenfolge der Teilnehmer verantwortlich ist, den ein oder anderen Extra-Franken bekommen, wenn er die Schweiz auf den letzten Startplatz setzen sollte. Wir erinnern uns: Er war in der Auswahl des Beitrages involviert. Natürlich ist das nur eine meiner zahlreichen Verschwörungstheorien, wobei sich ja einige schon als wahr herausstellten. Mit gutem Staging, optimaler Startnummer und patzender Konkurrenz könnte ich mir eine Qualifikation vorstellen. Sollte ich allerdings jetzt eine Prognose abgeben, dann würde ich die Schweiz raus tippen. Aktuell sehe ich 7 Länder mehr oder weniger sicher im Finale, dazu kämpfen mindestens 8 andere Songs um die weiteren Plätze 8-15. Unter diesen sehe ich die Schweiz, unter diesen sehe ich aber auch die Schweiz als diejenigen, mit den geringsten Chancen. Neutralität zahlt sich eben doch nicht immer aus. 

Hier noch die Performance aus dem Vorentscheid (Achtung: Alte Version des Songs)


Freitag, 16. März 2018

Eisige Reaktionen auf warme Ballade aus Island

Ein neues Jahr, eine neue Chance. Gerade für Island sollte dieses Motto gelten, um die Vergangenheit etwas in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch dieses Jahr fand das fast schon traditionsreiche Söngvakeppnin auf Island statt und der überraschende Gewinner Ari soll Island wieder zum alten Glanz vergangener Tage bringen.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=nloweviD_90
Die ESC-Vergangenheit:

Island debütierte 1986 beim 31. Eurovision Song Contest im norwegischen Bergen und war somit das letzte Land aus dem hohen Norden, das seinen Weg zur größten Musikshow der Welt fand. Mit zwei Ausnahmen 1998 und 2002 (Dort konnte man sich auf Grund der schlechten Ergebnisse der Vorjahre nicht qualifizieren) nahm das Land immer am ESC teil, womit Island 2018 zum 31. Mal beim ESC antreten wird. Gewinnen konnte Island noch nie, allerdings konnte sowohl 1999 als auch 2009 ein hervorragender zweiter Platz belegt werden, jeweils hinter einem skandinavischen Bruder. In der jüngeren Vergangenheit konnte Island an diese Erfolge nicht ranreichen. So konnte man sich in den letzten 10 Jahren zwar sieben Mal für das Finale qualifizieren, allerdings holte Svala 2017 den Hattrick mit der dritten Nichtqualifikation in Folge. Somit spricht der Trend klar gegen Island und es ist am erst 19 jährigen Sänger diesen Trend zu brechen.

Die Auswahl:

In Island wurde mit der ersten Teilnahme 1986 das Söngvakeppni gestartet. Ein über mehrere Runden gestalteter Wettbewerb, dessen Sieger in beinahe allen Jahren auch beim ESC antrat. 2018 wurde das geänderte Konzept von 2009 weitergeführt. Es gab 2 Semifinals mit je sechs Teilnehmer, von denen sich jeweils 3 für das Finale qualifizieren konnten. In den Halbfinals entschied zu 100% das Televoting, im Finale  gab es ein absolutes Punktesystem zu 50% Jury und 50% Televoting, wobei die beiden erfolgreichsten Beträge erneut in einem Superfinale erneut gegeneinander antraten, woran eine zweite Votingrunde gekoppelt war, in der nur die Zuschauer entschieden. Die Besonderheit des isländischen Vorentscheids ist, dass es im Halbfinale die Regelung gibt, dass in Landessprache gesungen werden muss. Im Finale entfällt diese Regelung, wodurch sich 4 der 6 diesjährigen Finalisten für eine Englische Version entschieden.

Die Qualität des diesjährigen Teilnehmerfeldes ließ ordentlich zu wünschen übrig. Mag es daran liegen, dass Greta Salomé dieses Mal nicht vertreten war oder eben doch ein gewisses Desinteresse der Künstler auf Grund der letzten Ergebnisse Islands der Grund ist. Die Begeisterung in der Bevölkerung ist jedoch ungebrochen. Allein im Superfinale kamen insgesamt fast 84 000 stimmen an und auch beim ESC bricht Island mit Einschaltquoten von 95% jegliche Rekorde. In diesem Jahr galt vor allem Dagur Sigurdsson als großer Favorit. Der stämmige Isländer war ebenfalls mit einer Ballade am Start, die allerdings etwas rockiger und nicht ganz so klassisch war, wie der spätere Sieger. 

Zweiter Platz im Vorentscheid und Favorit vor der Show

Potential für Drama gab es dieses Jahr vor allem bei der Abstimmung. Dagur konnte sowohl das Jury- als auch das Televoting für sich entscheiden, Ari zog mit einem deutlichen Rückstand von circa 9000 Punkten ebenfalls ins Superfinale ein. In diesem wendete sich das Blatt allerdings überraschend und Ari war der völlig unerwartete Sieger. Daraufhin traten Spekulationen und Vorwürfe von Fans des unterlegenden Künstlers auf, dass Stimmen nicht gewertet wurden, was der Telefonanbieter klar zurückwies. Wie dem auch sei: Ari gewann mit einem knappen Vorsprung von 53,23%.

Der Künstler:

Ari Ólafsson ist ein recht bekanntes Gesicht auf Island, wobei in diesem Land mit 330.000 Einwohnern jeder Sänger recht bekannt sein sollte. Er wuchs in Islands Hauptstadt auf und verbrachte einige Zeit seiner Kindheit in Florida. Bereits im Kindesalter konnte er sich für die Bühne begeistern, sodass er mit 11 Jahren die Hauptrolle in einem Musical übernahm, entdeckt wurde er damals übrigens von Selma Björnsdottir, die Zweitplatzierte vom ESC 1999. Später nahm ihn eine bekannte norwegische Sopranistin unter ihre Fittiche und bildete ihn aus. 2015 nahm er dann an der isländischen Version von The Voice teil, gewann allerdings nicht. Es drehte sich nur einer von 4 Coaches um, eine davon Svala, also seine Vorgängerin. Danach stand er als Backgroundsänger beim Vorentscheid auf der Bühne und nun wird er Island in Lissabon vertreten. 

Der Song:

Hier ist der diesjährige isländische Beitrag "Our Choice" von Ari Ólafsson:


Our Choice erfindet das Rad natürlich nicht neu, im Gegenteil: Es wirkt doch ziemlich aus der Zeit gefallen. Der Aufbau ist klassisch,ohne Abweichungen. (Vers A, Refrain, Vers B, Refrain, Bridge, Refrain, Ausklang) Auch sehr klassisch ist der Beginn, bei dem er nur von Klavierakkorden begleitet wird, die im Refrain durch dezente Streicher erweitert werden. Im zweiten Vers kommt das obligatorische Schlagzeug hinzu und auch in den Streichern gibt es nun einige Gegenmelodien. Im Refrain treten die Instrumente weiter in den Vordergrund und der (ebenfalls obligatorische) Chor singt lange Ahhh-Töne. Die Bridge ist harmonisch sehr interessant, da auch von Dur abgewichen wird, die Instrumente hingegen ziehen sich wieder zurück, nur das Schlagzeug spielt und der Chor singt melodische Gegenbewegungen. Zum Ende der Bridge, an der jede weibliche Sängerin den klischeehaften Schrei raushauen würde, singt er einen überraschend hohen Ton mit seiner Kopfstimme. Im letzten Refrain baut er natürlich einige Abweichungen zur Melodieführung ein und auch der Chor unterstützt ihn nun. Am Ende nimmt sich das Stück erneut komplett zurück und endet nur mit ihm und dem Klavier. Bemerkenswert ist der Oktavsprung nach dem ersten Refrain, der auch im 2. Refrain beibehalten wird.

Rein kompositorisch ist das hier ein sehr klassischer Beitrag, mit einigen Besonderheiten, die beim genaueren Hinhören auffallen. Allerdings sind auch sehr viele Klischees eingebaut worden, sodass das Besondere doch fehlt und dieser Beitrag bei einem stärkeren Teilnehemerfeld wahrscheinlich untergegangen wäre. Natürlich ist es kein schlechtes Lied, nur hätte man das auch schon vor 30 Jahren hören können und damals hätte ich ihm große Chancen ausgerechnet. 

Komponiert und getextet wurde der Song von Þórunn Erna Clausen, eine der wenigen weiblichen Komponisten in Island, was Greta Salomé in der Vergangenheit sehr bedauerte. Die Enkelin eines bekannten isländischen Leichtathleten ist keine Unbekannte in ESC-Kreisen, da sie den Beitrag 2011 (20. Platz) textete. Die Sopranistin ist außerdem als Schauspielerin tätig, wo sie in einigen isländischen Produktionen tätig war. Die 42-jährige war die fleißigste Komponistin in diesem Jahr, da 3 der 6 Songs mit ihrer Beteiligung entstand (Platz 1,2 und 5). Auch 2016 und 2012 konnten sich ihre Songs für das Finale im Vorentscheid qualifizieren, hatten aber mit dem Ausgang des Sieges nichts zu tun.

Der Text: 

Die Grundaussage des Songs befindet sich im Balladen-typischen Gebiet: Wir können die Welt zu einem besseren Ort machen, aber es liegt eben auch an uns, diesen Weg aktiv einzuschlagen. Solche Weltverbesserungshymnen gibt es alle Jahre wieder, doch nur wenige erreichen ein so schwaches und kitschiges Level wie Our Choice es schafft. Hier ein paar Auszüge:
Zu viele Menschen sterben im Schmerz,
aber zusammen können wir den Schmerz lindern.
 ...

In jeder Sprache gibt es ein Wort für Liebe und Schmerz
...
Denn im Inneren sehen wir alle gleich aus

Natürlich ist das eine schöne und wichtige Botschaft, aber das ganze wirkt doch etwas ausgelutscht und zu klischeemäßig aufgebaut, was mich stark an Russland 2013 (What if) erinnert. Somit nehmen diese Zeilen qualitativ dem Song einiges weg, was wirklich sehr schade ist. Im Semifinale präsentierte er ja den Beitrag auf Isländisch als "Heim" (Welt). Dort gibt es leider keine offiziellen Englischen Lyrics, jedoch zeigt eine kurze Übersetzung, dass der Song auf Isländisch eine tiefere Bedeutung hat. (Wir suchen alle einen Weg nach Hause/ Es versteckt den inneren Seelenkrieg) Selbst wenn der Song auch auf Isländisch kein Meisterwerk wäre, dann hätte das Europa auf Grund der fehlenden Sprachkenntnisse nicht beschäftigt. Aber so wird sich der ein oder andere an den peinlich kitschigen Lyrics fremdschämen.


Hier die isländische Version:



Das Gesamtpaket: 

Das kleinste Problem an diesem Beitrag wird Ari sein, denn er macht das Beste aus diesem flachen Song. Stimmlich ist das ganz große Klasse und auch den großen Ambitus des Liedes bekommt er ohne Probleme hin. Natürlich fällt besonders der 'Kreischer' am Ende der Bridge auf, den er ebenfalls souverän meisterte. Auch die Kameras fangen den smarten Mann gut ein und er wirkt wie der Traum jeder Schwiegermutter. Auch der Anzug wirkt hochwertig und passt sogar, was ja nicht selbstverständlich ist wie wir wissen. Ari muss recht wenig an sich machen, jedenfalls finde ich keine Kritikpunkte.

Das Outfit passt schon einmal Quelle:https://www.youtube.com/watch?v=nloweviD_90

Das Staging lässt mich zwiespaltigen zurück: Einerseits ist es stimmig und passend, aber andererseits packt es mich überhaupt nicht. Zu Beginn steht er mit dem Rücken zum Publikum (Anja Nissen lässt grüßen) und singt direkt in verschiedene Kameras. Da hat das Timing noch nicht ganz gestimmt, aber das wird kein Problem sein bis Mai. Anschließend steht er an einem Mikrophonständer, bis er diesen zur Bridge umwirft (dieser Rowdy) und ein paar Schritte nach vorne macht. Um ihn herum steht eine Band, von denen vier als Backgroundsänger agieren und die Instrumente natürlich nur als Showelement spielen. Die Beleuchtung besteht zu meist aus blau und lila, außerdem gibt es einige Wolkenbilder im Hintergrund.

Natürlich kann man bei einer solch klassischen Ballade kein außergewöhnliches Staging machen - aber ein außergewöhnlich gutes ist möglich! Da Ari erst 19 Jahre jung ist, könnte das jedoch einige Abweichungen zu lassen, um diesen angestandenen Song doch noch eine gewisse Würze zu verleihen. Das es keine LED-Elemente in Portugal geben wird halte ich eher für einen Vorteil für Island. Ein schwarz/Weiß Filter zu Beginn, bis zum zweiten Vers könnte einen guten Effekt haben. Ebenso etwas Bewegung ab dem selben Zeitpunkt. Generell würde ich eine intime Atmosphäre kreieren, also wenige offene Kameraeinstellungen, viele Nahaufnahmen und ein Fokus auf den ausstrahlungsstarken Sänger. Auch ein Pyroregen zu Ende mag zwar klischeehaft wirken, könnte den Effekt des Liedes auf den Zuschauer ausbauen. Wenn man zu wenig macht, gerät dieser Beitrag sehr schnell in Vergessenheit. Auf dramatische Tänzer würde ich natürlich verzichten, das passt gar nicht. Die Band würde ich zu einem Chor umfunktionieren, die ihm nicht nur gesanglich, sondern auch optisch den Rücken stärkt. Zur Message des Songs passen die gewählten Farben bereits, jedoch würde ich zum Finale (Während seines Tones) auf orange-Töne umstellen, um den Effekt erneut zu vergrößern. Von schwarz/weiß zu blau zu orange.

Die Wettquoten und Chancen: 

Ohne mich all zu sehr in der isländischen Musikbranche auszukennen, kann ich sagen, dass er wohl eines der größten Talente auf der einsamen Insel ist und wir ihn nicht zum letzten Mal gesehen haben, egal wie es im Mai in Portugal ausgeht. Gesanglich ist er Spitze drauf, nur der Song wird ihm nicht gerecht. Ein Phänomen, dass leider ziemlich häufig beim ESC anzutreffen ist. 

Auch die Vorzeichen jenseits der eigenen Stärke sehen alles andere als gut aus. Island startet im absoluten Horror-Semifinale 1 und dann auch noch in der ersten Hälfte in der Nähe von auffälligeren und besseren Balladen wie Litauen und Estland. auch von den skandinavischen Punktelieferanten hat es nur der geizigste Finnland in das selbe Semifinale geschafft. 

Die Wetttquoten folgen diesem klaren Bild auch und so kommt es, dass Island Stand 16.03. nur auf Rang 39 liegt und somit kaum Chancen in Aussicht gestellt bekommt, sich qualifizieren zu können. Dabei ist der Trend sogar noch eher positiv, da sie vor 4 Tagen sogar die rote Laterne als 43. kurzzeitig inne hatten.

Meine Einschätzung ist leider, dass es Island auch dieses Jahr nicht schaffen wird, in das Finale einzuziehen. Und das seit 2015 die klarste Pleite werden wird. Im Gegenteil. Ich gehe eher davon aus, dass sie tief drin im Kampf um den letzten Platz stecken, besonders da Semi 1 eben das vielleicht stärkste Semifinale aller Zeiten sein könnte. Viel Potential steckt nicht mehr im Song, Ari kann sich kaum verbessern, das Staging war schon recht passend und die Frist, um doch noch mit der Isländischen Version anzutreten, ist schon abgelaufen. Es sieht sehr düster aus um Island, man kann nur hoffen, dass sich die Statistik bewahrheitet: Die zweiten Plätze wurden 1999, 2009 und vielleicht 2019 errungen?

Ein Blick zurück in bessere Zeiten: Aris Entdeckerin Selma, bei ihrem zweiten Platz 1999: