Letzten Donnerstag ging im Trubel des deutschen Vorentscheids eine nicht ganz unwichtige Nachricht etwas unter. Die Franzosen haben ihren Beitrag Alma mit Requiem veröffentlicht. Ein schnelles Fazit des gewollt wiedersprüchlichen Beitrags.
Die Franzosen haben letztes Jahr dank der hervorragenden Top5 Platzierung und Amir, Blut am ESC gelegt und ihre Liebe wiederentdeckt, nachdem sie zwischen 2010 und 2015 meist jenseits des 20. Platzes endeten. Der für die Auswahl zuständige Sender France 2 blieb seinem internen Auswahl Modus treu, mit einer Besonderheit. Wie auch schon bei Amir, ist der ESC Beitrag die zweite Singleauskopplung des noch nicht veröffentlichten Albums. Auskopplung Nummer 1 war in beiden Fällen ein Hit und so hatte man genug Vertrauen in die junge Pariserin. Aber hier enden die Parallelen zum letztjährigen Beitrag nicht. Der Komponist heißt in beiden Fällen Nazim Khalid. Außerdem tritt sie bei der aktuellen Europatour von Amir als opening act auf.
Aber nun etwas mehr zur Sängerin Alma, von der es keine sichere Angabe zu ihrem Alter gibt, da macht wohl jemand einen auf Anastasia (wohl zwischen 27-30). Die eigentlich mit bürgerlichen Namen Alexandra Maquet heißende Sängerin, stammt gebürtig aus Lyon, lebte aber in ihrer Kindheit in Brasilien, Italien und den USA. Als Älteste von einem Schwesterntrio (die Niederlande schicken bekanntlich ein solches) lag es früh an ihr, die Kleinen zu bespaßen. Da halfen ihre Klavier und Gesangskünste doch ganz gut. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitete darauf in Mailand für einige Monate. Offenbar war das ihr nicht genug und sie zog nach Paris, um sich der Musik zu widmen. Dort lernte sie auch ihren Songschreiber kennen und die Combo die Frankreich zum Erfolg bringen soll, wurde gegründet.
Nazim Khalid wird einige gute Kontakte zu France 2 gehabt haben, um seinen 2. Beitrag in Folge siegen zu lassen. Gleichzeitig wussten die Verantwortlichen bei France 2 bereits, dass sein Stil sehr gut in Europa ankommt. Ein Paradebeispiel für eine Symbiose. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist dennoch überraschend und kam aus dem Nichts. Es ist in letzter Zeit sehr selten geworden, dass der Künstler zeitgleich mit dem Song veröffentlicht wird. O'G3NE aus den Niederlanden stehen beispielsweise schon seit Ende Herbst fest, werden ihren Song allerdings erst kurz vor Frist im März einreichen.
Ihr Beitrag Requiem ist ein Werk voller Widersprüche, die die Aussage des Songs verstärken sollen: Liebe gibt es in allen Lebenslagen. Unter Requiem versteht man die Feier eines Verstorbenens kurz vor dem Begräbnis. Der Song beschreibt, dass das Leben wie die Liebe anfängt, aber auch schlagartig vorbei sein kann. Sie möchte aber einen Liebhaber haben, der sie selbst in Mitten eines solchen Requiems zum Lachen und Tanzen bringt. Darüber hinaus verweißt sie auf den geringen Einfluss eines jeden auf die Erde. Wir mögen zwar unser Leben als besonders wichtig erachten, aber wir überschätzen dies. Die Erde wird sich weiter drehen, ein neuer Tag wird kommen und wir werden unwichtig unter der Erde liegen. Man solle die Trauer bei einer Beerdigung eher als Feier des Lebens umwandeln. Denn alles ist vergänglich und wir sollten das Leben genießen. Die Erde dreht sich, aus Funken werden Flammen, aus Mädchen Frauen und irgendwann kommt der Tag, an dem man den nächsten Tag nicht erlebt. Aber sie habe keine Angst, denn wenn die Welt sich nicht mehr drehe, werde sie wieder lieben.
Ziemlich tief gehende und düstere Zeilen, versteckt in einem orientalisch angehauchten Upbeat-Stück. Der ganze Song ist in Französisch und ich muss gestehen, bevor ich die Lyrics kannte, dachte ich nicht an einen solch lyrischen Tiefgang. Im Video ist ein Tänzerpaar zu sehen, welches an den Fassaden Paris' (natürlich inklusive Eifelturm) als schwarze Schatten tanzen. Ich würde diese als Tote interpretieren, die auch nach dem Tode fröhlich zusammen die Zeit verbringen. Ansonsten ist das Video relativ unspektakulär, zwischen Häuserschluchten und Kopfsteinpflaster, sieht man die an Miranda Cosgrove erinnernde Sängerin fröhlich umher tanzen. Der Song hat ja auch eine schöne positive Botschaft, die jedoch zum nachdenken anregt. Das Beste, was ein Autor erreichen kann.
International kommt der Titel sensationell gut an. Ob das natürlich nur an der bis dahin bekannten Konkurrenz lag? Lyrisch gefällt mir dieser Beitrag deutlich besser als der Französische letztes Jahr, der doch arg flach und typisch war. Dafür war er melodisch deutlich einprägsamer und trotz Sprachbarriere international Mehrheitsfähig. Bei Requiem habe ich da so meine Zweifel. Beim ersten Hören empfand ich den Song als schrecklich, da das Wort/Ton Verhältnis viel zu unausgewogen ist. Dazu die orientalischen Klänge, das hat mich vollends verwirrt zurück gelassen. Ich verstehe nun natürlich, dass man da viel Text rein packen wollte, aber am Ende des Tages, wird sie sowieso keine Sau verstehen. Selbst wenn, achten Sie bei 26 Songs an einem Abend auf die Texte und interpretieren diese? Man sollte nicht zu viel vom Zuschauer erwarten. Die orientalischen Einflüsse verwirren mich um ehrlich zu sein nach Prüfung ihrer Biographie nur noch mehr. Eventuell war dass das Zutun ihres Schreibers, der ja einen arabisch klingenden Namen besitzt.
Meine große Frage zum Beitrag ist, wie man das auf der Bühne umsetzen möchte, da der Titel ja doch erstmal verschreckt. Ein einfacher Mikroauftritt ist zu langweilig, ein Staging mit Choreographie sorgt für eine Diskrepanz zum Titel und ein Aufbau einer Totenmesse wäre dann wieder zu negativ zur eigentlichen Bedeutung. Das erinnert mich an Aserbaidschan 2016, bei der Samra einen Trennungssong vortrug, der Titel war Miracle. Aserbaidschan rettete sich aus diesem Namensfehler mit viel Pyro, Peng und Feuer. Wie Frankreich aus diesem Dilemma kommen soll, keine Ahnung. Die Sängerin möchte bestimmt ein Thema unterstützendes Staging, was auf Grund der fehlenden Lyrischen Aufarbeitung kontraproduktiv wäre. Ich wage einfach Mal die Prognose, dass sie vor dem LED-Bildschirm stehen wird und ein tanzendes Paar wie im Video auftauchen wird. Die Message könnte dann höchstens durch den jeweiligen Kommentator rüberbracht werden.
Frankreich hat vieles mit dieser Wahl richtig gemacht und unterstreicht seine Ambitionen, gerne mehr Erfolge feiern zu können. Ich glaube nicht an eine Top10 Platzierung, auch da ihre Stimme etwas wackelig wirkt. Aber sie werden auch nicht am hinteren Ende des Feldes landen werden. Ein solider, lyrisch überdurchschnittlicher Beitrag, ohne Hook, wird Frankreich keine Sterne vom Himmel holen, aber die Welt eventuell kurz in Atem halten.
Meine Lieblingszeilen, die ich mit aktueller politischer Brisanz interpretiere, dank Marine le Pen auch in Frankreich anwendbar:" Centuries pass and disappear
What you believe is dead
Is a season"