Wir kennen doch alle diese klischeehaften Seifenopern, in denen die latinischen Frauen immer so herumschreien. So ähnlich ging es heute Nacht in den spanischen Studios von RTVE her. Das unterhaltsamste, was ich in dieser Saison bisher erleben durfte, entwickelt sich zum größten Skandal der jüngeren spanischen ESC-Geschichte. Aber von vorne:
Um 22:00 Uhr Ortszeit begann der finale Teil des spanischen Vorentscheids. In der ersten Runde, vergleichbar mit dem in Deutschland noch vor 2 Jahren angewendeten Clubkonzert Modus, konnte sich die riesige Dame LeKlein durchsetzen. Es wurde dabei eine Vielzahl von Songs vom Sender veröffentlicht und dann von einer JURY auf drei Teilnehmer gekürzt. Schon da gab es ziemlich ungehaltene Kritik von sehr leidenschaftlichen spanischen ESC-Verrückten, da ihre Favoritin Brequette, mit ihrem Song von Barei (Spanien 2016) nicht weiter kam. Der Song hörte sich so an.
Im also finalen Konzert konnte sich LeKlein mit über 60% gegen ihre Konkurrenz durchsetzen und kam somit in das große nationale Finale von gestern Abend. Sie stieß auf 5 INTERN von RTVE auserwählte Acts. Die Qualität war nicht all zu hoch, nett ausgedrückt. An sich gab es nur 2 weitere Konkurrenten für LeKlein, wobei auch sie nicht über einen Hammersong verfügt. Einmal Mirela, die mit dem billigsten Spanienclubpop antrat und Manel Navarro, eine Lockenpracht mit einem hawaiianischen gute Laune Song. Die Auftritte gingen unspektakulär über die Bühne und aus meiner Sicht wäre nur mit Mirela ein Top15 Platz drin gewesen.
Einige Intervall Acts und Werbepausen später stand die Entscheidung an und das Drama begann. Jeweils 50/50 zwischen einer dreiköpfigen Moderatorenjury und den Zuschauern Zuhause. Die Punkte wurden wie beim ESC verkündet, also jeder Juror und dann kumuliert die Publikumsentscheidung. Juror 1 gab die Höchstpunktzahl von 12 an Manel, die niedrigste mit 5 an Mirela. Juror 2 gab Manel 10, Mirela die vollen 12. Jurorin 3 wiederholte 12 an Manel und nur 5 an Mirela. Macht summa sumarum 34 für Manel und 22 für Mirela, die gar nur auf Rang 3 lag. Das Televoting musste also her, das Publikum begeisterte mit Mirela Sprechchören.
Im Televoting konnte Manel jedoch nur den dritten Rang belegen! Somit war die Chance für Mirela da, denn der zwischenzeitliche Zweite wurde gar Letzter im Televoting. Nur noch sie und LeKlein warteten auf ihre Punkte, sie musste LeKlein schlagen! Und das schaffte sie auch, LeKlein bekam die 30 Punkte und setzte sich mit 52 Punkten hinter Manel, der 58 sein Eigen nennen konnte. Somit wären alle Augen auf Mirela gerichtet und die Fans im Saal preschten ordentlich nach vorne. Stadion Atmosphäre! Sie brauchte 37 Punkte für den Sieg, 35 würden die Niederlage bedeuten.
Sie bekommt...
36 Punkte! Patsituation, da beide Interpreten jeweils 58 Punkte haben und tumultartige Szenen im kleinen Studio spielten sich ab. Wer gewinnt nun? Mirela Sprechchöre. Der Moderator kommt nicht gegen den Schreiberg an. Silencio, Silencio. Hilft alles nichts, die Kontrolle haben die Fernsehmacher nicht mehr. Der Moderator ruft den Notar um Hilfe.
Bereits 2014 gab es eine solche Patsituation zwischen Juryliebling Brequette und Fanfavorit Ruth Lorenzo. Damals gab es die Regelung, dass der Sieger der Zuschauer gewinnt. Eine sehr sehr beliebte und besänftigende Methode, die eigentlich immer angewendet wird. Doch es war alles anders in Spanien dieses Jahr. Denn eine Regeländerung besagt, dass die Jury den Gewinner im Falle eines Gleichstandes bestimmt.
Nun war es am Moderator dem Mirela Publikum und den Zuschauern Zuhause zu erklären, dass ihr Sieger von drei selbsternannten Experten überstimmt wird. 3 Menschen haben das entscheidende Wort gegenüber Tausender Anrufer. Die folgenden Szenen waren Drama pur. Mirela den Tränen nahe sah, wie das Publikum "Mirela Eurovision" verzweifelt brüllte. Silencio, Silencio half nun gar nix mehr, in die Enttäuschung mischte sich Wut. Der Moderator befragte die Juroren erneut, die unter lauten Buh-Rufen das Ergebnis trotz des Protestes bestätigten. Der Gewinner Manel wurde konsequent ausgebuht und ausgepfiffen. Vor dem finalen Singen des Siegerssongs fehlte seine Gitarre und war nicht auffindbar. Dieses Vakuum nutzen die Zuschauer, um zu beleidigen und zu buhen. Der schnellste Abspann der Fernsehgeschichte folgte darauf hin und das Signal war beendet.
Dieses Chaos bereitete mir ein breites Grinsen ins Gesicht, da es nichts besseres als Schadenfreude gibt. Das alles war nur der Anfang, einer beispiellosen nationalen Demontage. Es folgte ein Shitstorm gegen Manel auf allen sozialen Netzwerken mit Morddrohungen und Angriffen unter der Gürtellinie. Er nahm die Wahl ja an, was die Spanier als Angriff ihrer Meinung sahen. Auch die Facebook Seiten von RTVE blieb nicht verschont und es existiert mittlerweile eine Petition, um Mirela nach Kiew zu schicken. Unter dem offiziellen Video kommentieren die sonst so stolzen Spanier: "ruft nicht für Spanien an und bewertet das Video schlecht!" Zum jetzigen Zeitpunkt sind 77% der Bewertungen negativ. Rekord!
Manel ist hier aber natürlich nur das Bauernopfer. Denn man muss sich doch fragen, warum RTVE die Entscheidung gegen das Volk will. Das große Unverständnis kommt daher, dass alle 6 Kandidaten ja von einer Jury bestimmt wurden, auch LeKlein. Somit hätte man sich den Vorentscheid auch sparen können, wenn es nur darum ging, den Juryfavoriten zu schicken. Mirela gewann das Televoting klar, bei 6 Acts kaum noch deutlicher zu schaffen. Die spanischen Fans gelten immer als sehr passioniert und RTVE lud extra einen großen Haufen Fans ein. Man hätte erahnen müssen, dass dieses totalitäre Verhalten zu einem totalen Chaos führen würde. Eine Schlägerei oder eine Stürmung der Bühne stand wirklich kurz bevor.
Aber auch Verschwörungstheoretiker machen sich diesen Vorentscheid zu eigen. Denn es ist doch recht seltsam, dass zwei Juroren Mirela auf den letzten Rang setzen. Scheinbar gibt es Belege dafür, dass diese beiden Jurymitglieder Kontakt zu Manel gehabt haben und sogar an der Songproduktion beteiligt waren. Diese Belege habe ich noch nicht sehen können, aber einen seltsamen Geschmack hat es trotzdem.
Mirela wurde also des Sieges beraubt, Manel tritt für ein Land an, dass ihn nicht nur nicht unterstützt, sondern ihn angreift und RTVE diskreditiert sich ein weiteres Mal (die Sänger der vergangenen Jahre warfen mangelnde Bereitschaft für Hilfe und ein Desinteresse an einer guten Platzierung vor) Gewinner gibt es praktisch keine. Bis auf Deutschland, dass sehr gute Chancen hat, das Selbstzerstörungslied zu überholen.
Der Song Do It For Your Lover ist übrigens ein Sommerhit und gar nicht schlecht. Kein Kandidat für die linke Seite, aber grundsolide und ziemlich catchy. Mich persönlich würde noch interessieren, ob sein Postchorus als Musik oder als Stimme gilt. Beim ESC muss ja jede Stimme live sein und dieses elektronische Zwischenspiel kommt zwar aus einem Menschen, wurde aber elektronisch überarbeitet. Ich schätze aber, dass es im Moment wichtigeres gibt in Spanien. Ich hoffe , dass sich die Wogen glätten oder Manel zurücktritt, denn genießen wird er das nicht können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen