Die Schweiz veranstaltet dieses Jahr eine etwas abgeänderte Version des Vorentscheids. Die Quotenregelung nach Region wurde gekippt und nun kamen die 6 stärksten Beiträge in einen nationalen Vorentscheid. Diese 6 weiblichen Teilnehmer präsentieren die Songs:
"Exodus" von Shana Pearson
"The Fire in the Sky" von Nadya
"Two Faces" von Michèle
"Gold" von Freschta
"Cet air là" von Ginta Biku
"Apollo" von Timebelle
Kleine Anmerkung am Rande: Ich stehe gerade noch unter dem Einfluss des Melodifestivalens und könnte daher noch kritischer sein als sonst.
Den Post eröffnen wird also Shana.
Mit 31 Jahren möchte sie den jungen Hüpfern zeigen, wie es geht. In Gegensatz zu vielen, vielen anderen Teilnehmern an nationalen Vorentscheiden, kam sie in ihrer Karriere bislang ohne Castingshows aus (oder nur so erfolglos, dass niemand davon weiß). Bei Shana kann man durch aus von Karriere sprechen, da sie schon einige Male ihren Namen in den Charts verewigen durfte, auch in Frankreich. Beim ESC würde die Dame mit amerikanischen Vorfahren gerne mit Exodus antreten. Geschrieben wurde er von einem schwedischen Team, welches eher unbekannt ist. Ein Komponist hatte die Hände 2014 beim Melo im Spiel, ein anderer ist mit 16 Millionen verkauften Platten in Asien recht erfolgreich.
Nun ja, zumindest kann sie Englisch ohne Akzent sprechen, das wars aber mit den guten Nachrichten. Der Song ist Eurodance-trash pur und ist leider im letzten Jahrtausend hängen geblieben. Solche Songs kennt man normalerweiße nur aus Moldau oder Weißrussland. Da hilft es auch nicht besonders, dass ihr Kleid wie das der moldauischen Siegerin 2016 aussieht. Das dieser Song in den Top6 der eingereichten Songs ist zeigt, wie schwach die aktuelle Konkurrenz bei den Eidgenossen ist.
Das schlimmste kommt aber noch: ich schätze es nicht als chancenlos ein. Beim verlinkten Video sind die stimmlichen Schwächen eklatant, was aber insbesondere an dem Backgroundherr liegt. Ihre Stimme ist weder sicher noch toll, aber solide. Sollte sie also stimmlich eine solide Leistung bringen, dann muss sie nur noch mit einer tollen Show vom Lied ablenken. Viele Tänzer und sowas wie Måns, also etwas, wo man wegen der Show anruft, nicht wegen des Liedes. Die Chancen darauf sind aber sehr gering und somit wird uns dieses Lied wohl erspart bleiben.
Nun kümmern wir uns um Nadya.
Diese ist 23 und ein Castingsternchen, wer hätts gedacht! Sie absolvierte eine klassische Gesangsausbilung und nahm daraurhin beim Schweizer Supertalent teil. Dort konnte sie das Finale erreichen und ist nun bereit für den nächsten Karriereschritt. Dazu sollte man noch erwähnen, dass sie nicht die typischen Maße für eine Popsängerin hat und auch glücklich damit zu sein scheint. Der Komponist ist Schweizer und ein Spezialist für wehmütige Volkslieder. Auch sein Weg begann bei einer Castingshow und seit her arbeitet er mit einem Chor zusammen, mit welchem er eher dunklere Themen verarbeitet wie z.B. den Tod seines Vaters.
The Fire In The Sky ist ebenso eine sehr dunkle Komposition. Im Text geht es um eine brennende Welt, dem Teufel und die Auswegslosigkeit. Nadyas Stimme ist wohl die beste im gesamten Vorentscheid, da sammelt sie Pluspunkte. Die Komposition hinterlässt Rätsel bei mir. Während die Verse sehr dunkel klingen und der Prechorus sensationell gelungen ist, wirkt der Refrain hymnisch, fast schon euphorisch, nur melodisch nicht textlich. Und durch diese stimmliche Verirrung hat der Song 0 Wirkung auf mich. Dazu kommt noch, dass Nadya nicht die ausdrucksstärkste Sängerin dieser Welt ist und ihre Kostümwahl mehr als unglücklich war. Aber das sind Dinge, an denen sie arbeiten konnte.
Das Staging an sich würde ich so lassen, eventuell ein Pyroregen wegen fire in the sky, aber nochmal: der Refrain ist mir zu hell, zu euphorisch. Christina Scarlat aus Moldau 2014 mag zwar Letzte geworden sein, aber ihr habe ich diese dunkle Aura abgenommen. Und auch Nadya kann mit einigen wenigen Effekten so etwas zaubern. Ein paar offensive Handbewegungen mit finsterer Miene in die Kamera. Dazu ein Kleid, dass keine schwarzen Blumenmuster beinhaltet. Etwas gewagtes, angst einflößend, Mädl du singst vom Untergang der Welt!
Weiter gehts mit der bipolaren Michèle.
Die Schweizerin ist zwar erst 16 hat aber im Ausland schon eine Castingshow gewonnen - nämlich die erste Staffel von the voice kids 2013. Seither gab es allerdings keine Neuigkeiten von ihr und so wurde klar, dass sie einen neuen Weg einschlagen muss, eine neue Castingshow. Michèle ist die erste hier, die ihren Song Co-getextet hat. Die anderen drei Komponisten sind alles Deutsche, hat hier ja gute Erfahrungen gesammelt. Einer davon hat mir aber die Nackenhaare aufstehen lassen. Der Hofproduzent von Hitmaschine und Stilikone Michael Wendler. Außerdem der Produzent von Pietro und Sara "Engels" Lombardi und ein paar Hits von Mickie Krause. Außerdem Schauspieler bei Berlin Tag&Nacht. Was?
Im Text geht es um ihren Charakter, der von nett und süß (sugar) bis nach wütend und sauer (salt) reichen könne. Ein paar andere Beispiele wie hell und dunkel werden auch genannt. Der Song ist in den Strophen sehr Sia, wenig Instrumente, Fokus auf die Stimme. Danach geht es etwas R&B weiter, bis zum Michael Jackson Schrei und dem Chorus. Dieser kann der aufgebauten Spannung nicht gerecht werden, da er nur aus fallenden oh oh's besteht, wenn das mal keine Warnung ist!
Der Song lebt von der Interpretin und das sollte ihr heute auch bewusst sein. Nur mit ordentlich Temperament und großen Gesten kann sie in den Köpfen bleiben. Insbesondere im Chorus sollte etwas passieren, da die oh oh Stellen gesanglich keine Hürden sind, dem Fluss des Songs aber zum stocken bringt. Mit diesem Upbeat-Beitrag wird sie auf jeden Fall einen Pluspunkt haben. Aber auch sie sollte ihre Kleiderwahl zumindest noch bedenken. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob eine Blumenbluse die richtige Wahl für einen solch frechen Song ist.
Halbzeit mit Freschta.
Die Schweizer mögen zwar DJ BoBo und können daher als verrückt bezeichnet werden, aber Freschta ist kein typisch schwizer Vorname. Freschta ist eine 20-jährige afghanische Schönheit, die fast ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht hat. Auf Afghanisch hat ihr Name eine tolle Bedeutung: Ängli oder auf Hochdeutsch Engel. Bekannt wurde sie 2014 durch die Teilnahme an the voice, wo sie das Halbfinale erreichen konnte. Darauf schickte sie 2 Songs zum SRF für den ESC, wurde aber bei beiden Versuchen nicht berücksichtigt. Dieses Jahr kam eine Songwriterin auf sie zu und sie schufen zusammen Gold, pardon "gold". Unterstützt wurden die beiden von einem Produzenten, der schon für Cro und Sido arbeitete.
Freschtas Gold ist in Moll geschrieben, ea handelt sich also um ein ziemlich dunkles. Im Text gehe es um Liebeskummer, etwas mit dem sich jeder identifizieren kann. Der Song ist eine klassische Ballade, mit ganz stark zurückgenommener Instrumentation. Dadurch liegt der Fokus voll auf ihrer Stimme und es entscheidet sich recht schnell, ob sie einen berührt oder nicht. Falls sie Erfolg hat, bricht der Hörer jegliche Kommunikation oder Ablenkung ab und versingt in Freschtas Welt. In diesen Augenblick gewinnt sie den Vorentscheid. Aber es gibt auch die Möglichkeit, dass man sich nach 30 Sekunden mit anderen Dingen beschäftigt, da es einen langweilt. Egal wie es ausgehen wird, mich hat sie voll in ihren Bann gezogen.
Genau hier wird der entscheidente Punkt sein. Stimmlich wird sie ganz sicher auftreten, aber alle Aspekte des Stagings müssen perfekt auf ein ander abgestimmt sein, damit wir in ihrer Welt versinken. Dazu gehören Kameraeinstellungen, Schnitte, Blicke, Gesten, Beleuchtung, Kleiderwahl, etc. Letzteres hatte sie bereits angekündigt, werde sie etwas unkonventioneller einsetzen. Ansonsten muss ich Kritikern recht geben, dass es doch etwas zu monoton und eintönig ist. Aber sie hört auf ihre Kritiker, denn sie hat eine etwas neu abgemischte Version veröffentlicht. Etwas mehr Instrumentation und dadurch ein wenig mehr Bewegung. Ich bin sehr gespannt.
Weiter gehts mit Ginta Biku.
Die Sängerin die eigentlich Gintare Kubiliute heißt, wurde in Litauen geboren und wuchs jenseits des Bodensees auf. Die bald 30-jährige kann auf eine festivalreiche und castingarme Vergangenheit zurück blicken. Sowohl in der Schweiz, als auch in ihrem Geburtsland konnte sie einige Erfolge feiern. Nun wird also der ESC mit dem französischen Cet Air La angegriffen!
Der größte Kämpfer ist chancenlos mit stumpfen Waffen. Es wundert mich nicht, dass Preise für ihr Aussehen in ihrer Trivia sind, aber keine stimmlichen Belobigungen. Das ist ganz ganz schlimmer nasaler Gesang und fast so schlimm wie Eric Saade live. Der Unterschied ist, dass Eric Saade immerhin einen tollen Song zerstört, Gintagilde aber schon auf einem Trümmerhaufen steht. Sie versucht modern, gefühlvoll, französisch und Dancequeen in einem zu sein. Ihre drei Tänzer bleiben auf jeden Fall im Kopf, aber die Kleider eben auch. Starlight Express Albatrosse, die sich ihre Flügel für sie ausreißen?! Das war wohl eine fruchtfröhliche Nacht bei der Staging Planung.Ihr Outfit sieht hingegen sensationell aus.
Der Song beginnt mit tropischen Einflüssen und wirkt recht gut. Sobald allerdings die Bridge zum Chorus einsetzt und die Töne länger werden, versagt die Harmonik und das Lied völlig. Spannung und Tempo sind raus, da hilft auch der lyrisch starke La La La La Refrain nicht. Dieser wird in einem Instrumentalwirrwarr aufgelöst, was ich so noch nie gehört habe. Wenn ich ganz viele tolle Elemente in drei Minuten komprimiere, dann erlange ich einen Overkill. Wenn ich aber nur ganz schreckliche Elemente komprimiere, erreiche ich einen negativen Overkill. Mehr muss ich hierzu nicht sagen außer, dass die komplett französische Version deutlich authentischer klingt. Wenn die Komponisten immer sowas produzieren wundert es mich nicht, dass man sie nicht kennt.
Das große Finale für Favorit Timebelle.
Bereits 2015 war diese Multikultiband beim Vorentscheid dabei und galt wie heute als Favorit. Dieses Jahr haben sie aber einiges umgestellt. So wurde die Band halbiert, um der rumänischen Sängerin drei Backgroundsänger zu Verfügung zu stellen. Den Song hat man aus 2015 aus dem tiefsten Kaukasus ausgegraben, denn er wurde 2015 in der internen Bewerbungsrunde in Aserbaidschan ausselektiert. B-Ware scheint aber bei den Schweizern die neue A-Ware zu sein und so nahm sich Timebelle den schwedischen Song.
Nur mit Piano begleitet startet der Song mit der starken Sängerin im schrill gelben Kleidchen, bitte umziehen! Der Song baut sich typisch schwedisch auf und am Ende haben wir einen starken Refrain, der mich etwas zu sehr an Jessie J Nobodys perfekt erinnert. Es ist fast schon bezeichnend, dass diese zweite Wahl überall als Favorit gilt. Wenn man dazu noch die Inszenierung etwas spannender gestalten würde, wäre der Sieg kaum zu verhindern.
In ein paar Stunden werden die Kandidaten in folgender Reihenfolge antreten:
1.) Nadya - The Fire In The Sky
2.) Ginta Biku - Cet Air Là
3.) Michèle - Two Faces
4.) Freschta - Gold
5.) Shana Pearson - Exodus
6.) Timebelle - Apollo
Somit bekommt Nadya die gute Position, die Bühne zu eröffnen, Freschta, Shana und Timebelle haben ebenfalls Glück gehabt. Ginta kann auf Rang 2 eigentlich gleich aus lassen und Michèle wird auch nicht glücklich sein.
Meine persönliche Wertung sieht so aus:
1.) Freschta - Gold
2.) Timebelle - Apollo
3.) Nadya - The Fire In The Sky
4.) Michèle - Two Faces
5.) Shana Pearson - Exodus
6.) Ginta Biku - Cet Air Là
Die Lücken sollen zusätzlich noch die Abstände zeigen. Nach Betrachtung aller Fakten und Spekulationen, die ich als alternative Fakten bezeichne, erwarte ich folgendes Endergebnis:
1.) Timebelle - Apollo 60% Siegchance
2.) Nadya - Thr Fire In The Sky 15%
3.) Michèle - Two Faces 11%
4.) Freschta - Gold 9%
5.) Ginta Biku - Cet Air Là 4% (da Französisch)
6.) Shana Pearson - Exodus 1%
Viel Spaß beim Vorentscheid und möge die Unschrecklichste gewinnen!
ERGEBNIS: Wie erwartet konnte Timebelle die Mehrzahl der Zuschauer hinter sich bringen. Mit einem Erdrutschsieg von beinahe 50%, sind sie der klare Favorit der Schweiz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen