Lisboa 2018

Lisboa 2018

Samstag, 17. März 2018

Schweiz gegen Cybermobbing und steinzeitliches Verhalten

Das Land, das Celine Dion, Vanilla Ninja und DJ BoBo in den erlesenen Kreis der Teilnehmer am Eurovision Song Contest aufsteigen ließ, sucht seit einigen Jahren die Form vergangener Tage. Nun soll endlich 2018 der Umschwung gelingen und das durch eine rundum Schweizer Produktion, ein Geschwisterpaar und dem Lied Stones


Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=jXOlPGnkZFY
Die ESC-Vergangenheit:

Die Schweiz kann man ohne Probleme als das Mutterland des ESC´s betrachten, da 1956 die einstige Idee in die Tat umgesetzt wurde. Ohne unseren neutralen südlichen Nachbarn hätte die Auswahl eines Austragungsortes im immer noch durch Krieg geschüttelten Europa zum Problem werden können. Den Heimsieg ließ die Schweiz sich ebenso nicht nehmen. Darüber hinaus konnte die Schweiz ein weiteres Mal den Pokal nach Hause bringen, als die (wie immer an dieser Stelle erwähnte) Celine Dion 1988 mit nur einem Pünktchen Vorsprung gewann. Danach gelang noch ein Dritter Platz, aber der Schwung war weg. In den vergangenen 10 Jahren wurde nur 2 Mal das Finale erreicht mit den Positionen 25 (2011) und 13 (2014). In diesem Zeitraum wurde sogar ganze 3 Mal der Letzte Platz im Semi erreicht, 2015 und 2016 sogar in Folge. Auch die hoch gewettete Band Timebelle konnte 2017 die Wende nicht schaffen und schied als 12. mit nur 4 Punkten Rückstand auf die Finalplätze aus. Nun soll mit der 59. Teilnahme endlich der erste Finalplatz seit 2014  erreicht werden. 

Die Auswahl:

Die Schweiz veranstaltet seit 2011 Die große Entscheidungsshow, dessen Sieger für die Schweiz beim Song Contest antreten darf. In den vergangenen Jahren wurden die Startplätze den regionalen Sendern verhältnismäßig aufgeteilt, die dann frei entscheiden konnten, wer diese Plätze ausfüllt. Dieses Konzept wurde 2017 aufgegeben und 2018 erneut bearbeitet. Zusammen mit der Schwedischen ESC-Größe Christer Björkmann wurde eine öffentliche Ausschreibung für Komponisten und Sänger getätigt, wobei nicht jeder Komponist auch einen Sänger präsentieren musste. Der Sinn dahinter war, dass der Fokus der Auswahl mehr auf den Song gelegt wird, als auf den Künstler. Intern wurden daraufhin 6 Künstler ausgewählt, die Anfang Februar gegeneinander antraten.

Die Änderungen in der internen Auswahl der Beiträge lohnte sich und es gab einen hochwertigen Vorentscheid, der sich qualitativ deutlich von den letzten Jahren abheben konnte. Auch wurde der Fokus auf die Inszenierung gesetzt, was natürlich ein riesiger Vorteil für den ESC ist. Unter den 6 Teilnehmern wurde recht schnell in den Foren ein Favorit auserkoren (Haha Reim) und dieser war auch der spätere Sieger: ZiBBZ. Dieser Favoritenrolle wurden sie trotz des Startplatzes 1 gerecht und gewannen sowohl das Juryvoting (knapp mit 2 Punkten) als auch das Televoting (Sehr deutlich mit fast 30 Punkten Vorsprung). Somit konnte ohne den Hauch von Drama die Show beendet werden und die Schweiz schien glücklich.


Die Künstler:

Hinter dem Künstlernamen ZiBBZ (je nach Quelle Zibbz) steckt das Geschwisterduo Corinne 'Co' Gfeller und Stefan 'Stee' Gfeller. Während Co für den Gesang zuständig ist, kümmert sich ihr Bruder Stee um den Rest (Schlagzeug, Percussion & Klavier). die Band gründete sich 2008 und ihr Name ist eine fancy dancy Abwandlung des Englischen Siblings, also Geschwister. Auf ordentlich Erfahrung können die beiden auf jeden Fall zurückgreifen. Co besitzt einen Abschluss der Laine Theatre School (Musicalausbildung) in London, auf der auch Viktoria Beckham war, dazu ist sie auf einigen namenhaften Alben als Backgroundstimme zu hören und textete auch einige Lieder, unter anderem für Fergie. Stee hingegen gewann schon mit 12 Jahren diverse Preise für sein Schlagzeugspiel und gründete seine eigene Rockband. Beide zusammen fühlen sich in ihrer Wahlheimat Los Angeles am wohlsten, wo sie auch ihre Musik zum Leben erwecken. 

Als sie dann zusammen die Band zum Leben erweckten, erhielten sie gleich großen Support von einem Jugendsender, der über Jahre hinweg über sie berichtete. Zusammen brachten sie bereits 2 Alben in den Jahren 2013 und 2017 heraus, die jeweils die Top10 der Albumcharts kratzten. Außerdem brachten sie schon einige Song in Werbespots unter, so zum Beispiel für die sehr leckere Ragusa-Schokolade oder für Subaru. Der bisher größte Erfolg in der Werbebranche war wohl die Beisteuerung der offiziellen Hymne für die Unihockey-WM 2012. An mangelnder Erfahrung sollte es also nicht scheitern.


Der Song:


Hier ist der diesjährige Schweizer Beitrag "Stones" von ZiBBZ:


Der Song ist wie es sich für einen Popsong ja fast schon gehört recht typisch, weißt aber im Aufbau einige Besonderheiten auf. Vers A, Prechorus, Refrain, Vers B, Prechorus halb, Refrain, Bridge, 2x Refrain. Zu Beginn steht Co´s Stimme sehr im Vordergrund und wird durch harte Schlagzeug-Akzente, die auch Posaunen beinhalten, ergänzt. im Prechorus ist dann nur das Piano hörbar, um den Bruch zum Refrain noch stärker zu betonen. In diesem werden die Motive aus den Versen ausgebaut und generell ein lauter, aggressiver Sound hergestellt. Die Komposition verändert sich nicht all zu sehr im zweiten Durchlauf, nimmt sich selber in der Bridge allerdings deutlich zurück, wo nur der Chor im Hintergrund zu hören ist und ein Percussion Klang-Teppich. Natürlich folgt der Höhepunkt durch den einleitenden Schrei in die beiden Finalen Refrains, bei denen es Co sich natürlich nicht nehmen lässt, noch einiges an Stimmakrobatik einzubauen.

Das moderne Pop/Rock-Stück orientiert sich nah am Zahn der Zeit und könnte ohne Probleme in jeglichen Radiostationen gespielt werden. Wenn ich diesen Song einordnen müsste, dann wäre das irgendwo zwischen "Radioactive" von den Imagine Dragons und "Are we all we are" von P!nk, denn beides sind edgy Songs, mit starkem Percussion-Anteil, von denen sich "Stones" nicht verstecken muss. Der Song wurde nach dem Sieg im nationalen Vorentscheid etwas modifiziert und der Attitude-Pegel wurde ordentlich nach oben geschraubt. Somit ist es der Schweiz als eines der wenigen Ländern gelungen, einen Song mit einem Revamp tatsächlich zu verbessern. 

Komponiert und getextet haben ZiBBZ den Song selber, mit der Unterstützung von Laurell Barker. Die Kanadierin gewann schon einige Awards in den USA und Kanada und entdeckte in den letzten Jahren die Liebe zum Eurovision Song Contest. Sie steuerte 2017 2 Songs dem Britischen Vorentscheid bei, 2018 folgten dann der Fan-Favorit im britischen Vorentscheid und sogar ins Melodifestivalen schaffte sie es mit Renaida und ihrem Song "All The Feels", welcher es bis ins Finale schaffte.


Ein anderes Werk der Co-Autorin, das es sogar bis ins Finale des Melodifestivalens schaffte.

Der Text:

ZiBBZ beschreiben die Message des Songs als Hymne gegen Mobbing. Sei es in der Schule, auf der Arbeit, im Internet oder in Form von mangelnden Selbstbewusstseins. "Mobbing hindert uns daran, unser wahres Ich zu zeigen, unser Leben in vollen Zügen zu leben und zu träumen", so ZiBBZ. Dabei rufen sie auch auf eben nicht in dieses steinzeitliche Verhaltensmuster zurück zu fallen und andere Menschen mit Steinen zu bewerfen oder ihnen in den Weg zu legen. Auch sind sie überzeugt davon, dass sie mit dieser Meinung nicht alleine da stehen. Die Selbstsucht der Menschen wird ebenfalls thematisiert, da Menschen oft nur an ihren eigenen Vorteil denken. 

Hier einige Auszüge:

Wir sind so ängstlich, wir feuern sie ab
Was ist ein Leben schon wert?
Wir sind so ängstlich, wir wiederholen den Fehler,
Nur um Erster zu sein.

...

Jede Belehrung der Vergangenheit haben wir verloren

Es tut mir leid, dass ich nicht zurück versetzt werden möchte

Nein, Ich werde keine Steine werfen

Oh, weil ich weiß, dass ich nicht alleine da stehe.

...

Sie meinen anders zu denken sei der Feind

Es ist schon seit Jahrzehnten so

und ich kann nichts dagegen tun.

Die Botschaft, in allen von Cybermobbing-Zeiten, in denen man anonym erheblichen Schaden anrichten kann, ist sehr wichtig und sehr gut verpackt. Die Lyrics sind nicht zu platt oder schwach, sondern qualitativ hochwertig, was allerdings den Zugang zur Message natürlich erschwert. Nichtsdestotrotz wurde hier sowohl ein wichtiges Thema angesprochen, als eben dieses auch gut verpackt und in dieser Kategorie nimmt die Schweiz meiner Meinung nach einen der führenden Plätze in diesem Jahr ein.


Das Gesamtpaket: 


Quelle: https://youtu.be/jXOlPGnkZFY?t=2m24s

Da ZiBBZ ja im Vorentscheid antreten mussten, konnte man schon einen ersten Entwurf für das Staging betrachten. Dieses war simpel, jedoch recht effektiv. Das Geschwisterpaar stand bzw. saß jeweils in einem Dreieck, Stee´s blau, Co´s rot und auf dem Kopf. Zu Beginn steht Co noch an einem Mikrofonständer, von dem sie sich allerdings recht schnell verabschiedet und anschließend vorne ordentlich Bewegung macht. Zur Bridge haut sie sogar auf eine Trommel. Auch die LED-Wand wurde benutzt, die ja beim ESC weg fällt. außer man bringt seine eigene mit. Deren Bilder waren jedoch sehr willkürlich ausgewählt. So gab es zu Beginn Aufnahmen aus einem Wald, welcher dann im Refrain zu (was wohl?) fliegenden Steinen wurde. Auch einige Autobahnkreuze und Kamerafahrten über Straßenblocks waren zu sehen. Das einzig wirklich Relevante für den ESC war der Effekt, als fliegende Steine als Bildeinblendung über die Bühne in Richtung Zuschauer flog. Co´s Outfit war sehr dunkel gehalten, schwarze Lederhose, schwarzes Top mit Schulterpelz und ein schwarzer Hut. Dadurch kamen natürlich ihre blonden Haare richtig zu Geltung, sowie ihr rotes Fetzen-Accessoire an ihrem Oberkörper. Allerdings ging sie in den Kameraeinstellungen der ganzen Bühne etwas verloren, da der Hintergrund auch oft schwarz war.


Der Song benötigt auf jeden Fall ein recht auffälliges und passendes Staging, da die Schweiz im starken Semifinale 1 ran muss und die Finalqualifikation die Erwartung sein sollte. Die LED-Dreiecke könnten mitgenommen werden, auch wenn diese unter Umständen etwas zu wenig sein könnte. Daher würde ich mich eher an dem Video orientieren, das sehr dunkel gehalten ist, aber zum Beispiel mit Lasern arbeitet. Tänzer würde ich bei dem Song unterlassen, allerdings könnte man den Chor sichtbar auf der Bühne dar stellen, sozusagen als Antagonist der Künstler. ZiBBZ also auf der durch die LED-Dreiecke beleuchteten Seite der Dreiecke, die klar abgegrenzt zur Dunkelheit ist. In dieser Dunkelheit (Anonymität) stehen die Chorsänger als finstere Gestalten. Zum Ende hin löst sich dieser Konflikt auf und die Gestalten wandern zu ZiBBZ. Die Laser könnten hierbei aus der Gruppe heraus kommen, um gezielte Attacken auf Opfer darzustellen, siehe Scharfschützengewehre. Auch die rote Beleuchtung zum Ende des Videos finde ich schön und diese könnte man auch auf das Staging adaptieren. Das Outfit sollte edgy, aber dennoch passend sein, dabei auch noch eher finster, aber nicht zu dunkel, um auf der Bühne nicht zu verschwinden. Von daher würde ich in der Farbwahl etwas mehr auf das bereits vorhandene weinrot setzen oder zumindest den Hut weglassen bzw. färben.


Die Wettquoten und Chancen:

ZiBBZ sind bereits gestandene Künstler, die auf eine ordentliche Vita zurückschauen können. Somit ist ein Totalversagen beim ESC praktisch ausgeschlossen, da die beiden genug Erfahrung haben, um die Schweiz nicht zu blamieren. Symphatiepunkte gibt es außerdem für die Tatsache, dass sie ihren Song mitproduziert und geschrieben haben. Sie sind vielleicht der beste Schweizer Act seit langer Zeit, nur leider haben sie ordentlich Pech im Gepäck.

Denn sie starten im sehr starken Semifinale 1, darin in der zweiten Hälfte. Aktuell sind die Top4 der Wettquoten in diesem Semi zu finden, es könnte das stärkste Semi aller Zeiten sein. Die Schweiz, die oft eher weniger Glück mit Nachbarschaftsvoting hat, sieht sich also in mitten von vielen Favoriten. Auch können weder Frankreich, Italien noch Deutschland für sie abstimmen, da diese geschlossen im anderen Semifinale abstimmen werden. Somit bleibt mit Österreich nur ein Nachbarland, die sich aber in der Vergangenheit nicht als sonderlich spendabel erwiesen haben (So gab es 2017 nur magere 2 Pünktli) 

In den Wettquoten ergibt sich ein noch schlimmeres Bild, da sie aktuell Stand 17.03. 23:00 Uhr nur auf dem 39. Platz stehen. Vor noch 5 Tagen standen sie seit einem Monat auf dem Letzen Platz aller Teilnehmer. Somit halten die Anbieter eine Qualifikation der Schweiz nicht nur für unwahrscheinlich, sondern für beinahe ausgeschlossen. 

Meine persönliche Einschätzung ist, dass ich die Schweiz noch nicht abschreiben würde. Ich finde den Song wesentlich stärker als den letztjährigen Beitrag, der ja nur äußerst knapp gescheitert war. Natürlich ist das Semifinale auch wesentlich stärker und die Schweiz muss auf Fehler der Konkurrenz hoffen. Wären sie allerdings in Semi 2 angetreten, hätte ich ihnen sogar recht gute Chancen ausgerechnet, aber in Semi 1 wird es natürlich schwer. Vielleicht wird Christer Björkmann, der ja maßgeblich für die Reihenfolge der Teilnehmer verantwortlich ist, den ein oder anderen Extra-Franken bekommen, wenn er die Schweiz auf den letzten Startplatz setzen sollte. Wir erinnern uns: Er war in der Auswahl des Beitrages involviert. Natürlich ist das nur eine meiner zahlreichen Verschwörungstheorien, wobei sich ja einige schon als wahr herausstellten. Mit gutem Staging, optimaler Startnummer und patzender Konkurrenz könnte ich mir eine Qualifikation vorstellen. Sollte ich allerdings jetzt eine Prognose abgeben, dann würde ich die Schweiz raus tippen. Aktuell sehe ich 7 Länder mehr oder weniger sicher im Finale, dazu kämpfen mindestens 8 andere Songs um die weiteren Plätze 8-15. Unter diesen sehe ich die Schweiz, unter diesen sehe ich aber auch die Schweiz als diejenigen, mit den geringsten Chancen. Neutralität zahlt sich eben doch nicht immer aus. 

Hier noch die Performance aus dem Vorentscheid (Achtung: Alte Version des Songs)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen