Lisboa 2018

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Donnerstag, 17. März 2016

Der kometenhafte Aufstieg Israels

Bei Israel hört man leider Jahr für Jahr immer die gleichen Diskussionen: Warum darf das Land beim ESC teilnehmen, dass gehört doch gar nicht zu Europa! Diese Position wird seit dem Auftauchen Australiens beim ESC zum Glück immer seltener vertreten. Ich meine Europa ist nicht ganz schuldlos an der Gründung Israels. Kulturell gehört es mehr zu Europa, als so manch abgeschotteter Oststaat. Aber der ESC war ja noch nie ein Ort der politischen Reden (lach), also beschäftigen wir uns lieber mit Israel beim ESC.

Israel nimmt seit 1973 ziemlich konstant beim Eurovision Song Contest teil. Die letzte Pause nahm sich das Land 1997, ein Jahr vor dem Sieg Dana Internationals. Insgesamt konnte Israel den ESC drei Mal gewinnen und zwar 1978,1979 und eben 1998. Diesen Glanz konnte Israel nicht ganz ins neue Jahrtausend bringen. Bei den letzten 10 Teilnahmen stand das Land 5 Mal im Finale, dabei gab es eine 4-jährige Serie zwischen 2011-2014, in der nie das Finale erreicht wurde. 2015 schaffte der erst 17-jährige Nadav Guedj mit seinem 9. Platz die Wende. 

Wer es übrigens bis hier her noch nicht gemerkt hat: Ich bin ein großer Israelfan beim ESC. Eigentlich konnte sich jeder Titel der nahen Vergangenheit, in meinem Kopf nach oben katapultieren. Dabei fällt mir vor allem Mei Feingold ein, die 2014 skandalös als Vorletzte ausschied. Sie nahm es zum Glück mit Humor, ich nicht. 


Jeder ESC-Fan fragte sich natürlich, was Israel denn noch besser machen sollte. Es war ja nicht das erste Mal, dass ein sensationell guter Song aus Israel die Halbfinalhürde nicht gepackt hat. War der Hass auf die Israelis so groß? Seit 2015 wissen wir, dass es wohl einfach nur die Sprache war, die Europa verschreckt hat. Erstmals singt ein israelischer Beitrag nur auf Englisch und schon meistert man den Halbfinalkurs mühelos und schließt ihn als 3. ab. Israel haderte zwar mit diesem Schicksal, aber hat sich nun endgültig damit abgefunden, denn dieses Jahr macht man es noch einmal genau so, nur ganz anders.

Der Vorentscheidsmodus in Israel wurde schon in Deutschland erprobt und scheiterte hier grandios. Die Castingshow rising star sollte das neue Aushängeschild der Castings bei RTL werden. Allerdings wurde es bereits nach einer Staffel abgesägt, zu wenig Zuschauer. Wobei das auch nicht ganz stimmt, da die Staffel abgebrochen wurde.

Dieses Format funktioniert in Israel dagegen herausragend, vielleicht auch wegen dem tollen Namen HaKokhav HaBa. Wie in jeder Castingshow treten Künstler auf und hoffen die nächste Runde erreichen zu können. Allerdings ist die Jury keine Ansammlung aus Möchtegernpromis, sondern der Juror bist Du! Per App kannst du ihn weiter lassen oder auch nicht und wenn er eine gewisse Prozentzahl übersteigt, kommt er eine Runde weiter. Also praktisch die musikalische Form von Tinder. So fand man letztes Jahr schon Nadav, aber dieses Jahr wurden die Regeln so angeglichen, dass das Finale gleich mit den potentiellen Liedern für Stockholm stattfand. 

Sieger wurde der 29-jährige Hovi Sekulets. Für einen zukünftigen Popstar ist dieser Name natürlich unbrauchbar und er nennt sich nun Hovi Star. Wie wunderschrecklich klischeehaft. Aber wie könnte man den Gipfel des Mount Klischee erreichen? Richtig, mit dem passenden Songtitel Made of stars.

Hier der israelische Beitrag 2016 von Hovi Star Made of stars:



Damit haben wir die erste klassische Ballade im diesem Jahrgang, die sogar die Einzige sein wird. Nach den sehr ruhigen Jahrgängen 2013 & 2014 folgte ja 2015 ein ziemlich ausgeglichenes Teilnehmerfeld. Aber das dieses Jahr nur diese eine klassische Ballade und 6 weitere Balladen teilnehmen, überrascht doch. Aber wie gesagt, ist das hier die typische ESC-Ballade, die man eher aus Aserbaidschan erwartet hätte.

Generell passiert in den ersten zwei Minuten nicht viel. Er schlendert durch die Straßen Tel Avivs und das Lied ist wie die ruhige See. Aber dann gibt das Lied Vollgas und steigert sich in eine chorartige Bridge. Die zuvor sehr minimalistisch  gehaltene Instrumentation steigert sich nun auch und erhält durch das Einsetzen des Chores und des Schlagzeug eine gewisse Breite und Dramaturgie.

Aber eigentlich gewann er den Vorentscheid mit einer anderen Version des Liedes. Die deutlich tanzbarere Version wurde aber aufgrund der negativen Reaktionen abgeändert, ein vor allem taktisches Mittel. Die Originalversion war nichtssagend und wäre völlig untergegangen. Nun haben sie aber als Einzige auf das offensichtlichste Pferd gesetzt. Diese neue Version ist eine extreme Steigerung. 

Aber die neue Version wirkt wie eine verbesserte Version von Rak bishvilo (Israel 2013)



Dieses Lied ist natürlich auch extrem stark, aber einige Fehler wurden behoben. So z.B. der Synthesizer nach dem Refrain oder die fehlende Steigerung am Ende. Somit hat Israel aus seinen Fehlern gelernt und versucht nun nach den Sternen zu greifen.

Das Staging könnte aber etwas komplizierter werden. Hovi ist ein sehr extrovertierter Mensch und ich glaube nicht, dass er nur vor dem Mikro stehen will, um dort sein Lied runter zu singen. Wie immer habe ich eine brillante Idee, wie man dieses Lied gut inszenieren könnte. Der Spot nur auf ihn im ersten Vers, Klavier auch zu sehen. Dann im Refrain erscheint eine Drohne die auf ihn zufliegt, nur um dann aufs Publikum zu fliegen. Diese hat natürlich eine Kamera bei sich und nimmt somit alles auf.

Dann geht das bis zur dramatischen Bridge so weiter. Dann werden aber die Lichter des Publikums eingefangen und die Kamera fliegt dramatisch darüber. Dann etwas Nebel und Windmaschinen und man hat eine wirklich gut durchdachte Bühnenshow, die sogar zum Titel passt. Ob das mit der Drohne so realistisch ist, weiß ich nicht.

Der Vertreter Israels ist schwächer als die Jahre zuvor, aber die Umstände sind einfacher geworden. Zwar tritt man wieder in der ersten Hälfte im Semifinale an, tritt dank Feiertag aber im schwächeren an. Damit ist die Chance auf den Todesstartplatz 2 relativ gering, da kommt noch keine Ballade hin. Israel ist auf jeden Fall ein Wackelkandidat, der das Finale aber sehr bereichern würde. Die Jurys müssten ihn eigentlich auch mögen und singen kann er ja. Die politische Ebene darf man aber auch nicht vergessen, auch wenn sie nur ungern angesprochen wird. Es gibt derzeit keine neuen Nachrichten aus dem Konflikt mit den Palästinensern, daher sollte das doch eher keine Rolle spielen.

Wie so oft kommt es also auf seine Performance an. Was aber dieses Jahr auffällig ist, dass die Semifinals so spannend wie schon lange nicht mehr werden. Nur die Flüge nach Tel Aviv würde ich nicht in der Hoffnung auf den ESC 2017 buchen, das ist doch relativ unwahrscheinlich.





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