Lisboa 2018

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Sonntag, 27. März 2016

Aserbaidschan erzwingt das Wunder

Manches im Leben ist einfach unfair. Manchen fliegt alles einfach nur so zu und andere können selbst unter größter Anstrengung nur mittelmäßige Erfolge feiern. Manche schaffen selbst mit einer schlechten Leistung ein passables Endergebnis, während andere einen starken Einsatz zeigen, aber die Lorbeeren eben schon weggepflückt wurden. Den wohl größten Gegensatz im ESC-Universum bilden wohl Aserbaidschan und Portugal, deren Ausbeute beim ESC unterschiedlicher kaum sein könnten. Was in Aserbaidschan schon als Enttäuschung gilt, würde in Portugal als neuer Nationalfeiertag vergöttert werden. Nachdem sich Portugal erneut vor dem ESC in Schweden drückt, (Das 3. Mal in Folge - Was hat Portugal gegen Schweden?!) kann man für dieses Jahr nicht den Vergleich zu Aserbaidschan ziehen. Aber Aserbaidschan bleibt uns erhalten - und vielleicht sehen wir uns selber 2017 erneut in Baku. 

Aserbaidschan ist der jüngste Kaukasusstaat, der beim ESC teilnimmt. Nach Armenien (2006) und Georgien (2007) fand Aserbaidschan im Jahre 2008 den Weg zur größten Musikshow des Universums. Kurz, aber schön. So kann man die bisherige Historie Aserbaidschans beim ESC beschreiben. Bei 8 Teilnahmen wurde 8 Mal das Finale erreicht, es gehört also auch zu den 100%-Qualifikationsüberlebenden. 6 davon endeten in den Top-10 und seit dem Jahr 2013 hat das Land auch den kompletten Medaillen-Satz errungen, mit der bronzenen 2009, silbernen 2013 und natürlich der goldenen 2011. Die Holzmedaille wurde 2011 erreicht, 2009 der fünfte Platz. Aber in den letzten beiden Jahren kann man für aserbaidschanische Verhältnisse, von einer Krise sprechen. Nur die Plätze 22 und 12 sind ein starker Leistungseinbruch, der die Interpreten bei der heimischen Ankunft um einen Kopf kürzer machen. Somit sollte man dieses Jahr, um das Ruder rumzureißen, einen gestandenen Act verpflichten, der nicht wie 2014 bei der stimmlichen Liveperformance einen Totalausfall erlebt. Denkste...

Die bisherigen Bestimmunsmodelle des eher diktatorisch geprägten Lands, sind überraschend demokratisch. Mit den Ausnahmen der Jahre 2009 und 2015 wurde immer ein nationaler Vorentscheid veranstaltet. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, da es Castingsshows waren, also nicht explizit auf den ESC ausgerichtet waren. Das hatte oft zu Folge, dass der Act zwar gewählt wurde, aber das Lied intern bestimmt wurde. Aserbaidschan ist auch ein Land, das sehr schnell kapiert hat, dass nationaler Sprachstolz und Erfolg nicht unbedingt verknüpfbar sind, daher haben sie bisher nur in Englisch gesungen. 

In den Jahren 2014 und 2015 versuchte man ähnlich zu 2012 dem Song einen kaukasischen Touch zu verleihen. Das scheiterte aber auf Grund der Platzierungen deutlich. Also nun 2016, was machen sie? Sehr sehr lange war überhaupt nichts zu hören und man machte sich schon Sorgen, dass nun auf den letzten Drücker ein Act gesucht wird. Als der Song schließlich veröffentlicht wurde verstummten jedoch alle Kritiker sofort und rannten zur nächsten Wettbar, um dafür eine Wette abzuschließen. 

Hier ist der Beitrag von Səmra Rɘhimli Miracle, der Aserbaidschan 2016 beim ESC vertreten wird.


Wie immer zunächst zur Interpretin. 1994 wurde sie in Baku geboren. Bereits mit 16 Jährchen wollte sie ihr Land beim ESC vertreten, scheiterte aber 2012 im Vorentscheid. Im Jahre 2015 erschien sie wieder in den Schlagzeilen, als sie das Viertelfinale von The voice of turkey erreichte. Offenbar reichte das den hohen Tieren in Aserbaidschan, um sie zu nominieren. Weitere spannende Fakten sind, dass sie verrückt nach ihrem Hund ist und es hasst, ihre Haare zu schneiden und sie deshalb so lang sind. Die moderne Erfindung des Frisörs hat den Weg nach Baku wohl noch nicht gefunden. In ihren jungen Jahren ist scheinbar noch nicht die Zeit da gewesen, eine offizielle Homepage einzurichten. Daher sind alle Infos entweder von Wikipedia oder eurovision.tv. 

Laut eigener Aussage geht es in dem Lied, um ein starkes Mädchen, dass sich aus ihrer Beziehung entreißt. Der Titel Miracle ist meiner Meinung nach daher etwas unglücklich gewählt, da man sofort ein Happy-End assoziiert. Aber nun zum musikalischen Teil.

Zu Beginn des Verses sind die Schlagzeugeinwürfe eindeutig von Sia geklaut. Das Lied baut sich dann langsam auf und rutscht in die R&B-Ecke. Der Refrain ist typisch für des Genre des Schwedenpops, aber auch unglaublich effektvoll. Ihre Stimme kommt vor allem in den Versen sehr gut heraus, ehe man sich versieht, befindet man sich schon mitten im zweiten Refrain. Die Bridge ist ein perfekter Ohrwurm, auch wenn es etwas unkreativ wirkt. Im letzten Refrain hätte ich mir ein paar mehr Koloraturen von ihr gewünscht, die den dritten Refrain eine noch wuchtigere Erscheinung geben würden.

Das Experiment Heimatverbundenheit in den Beiträgen ist gescheitert und Aserbaidschan macht wieder das, was sie am besten können. Inhaltslosen Pop, geschrieben von Schweden. Diese Taktik könnte man wirklich zerreißen, wenn sie nicht so unglaublich erfolgreich wäre. Das Lied kann ohne Probleme in allen Radiostationen laufen und niemanden käme auch nur in den Sinn, dass es vom ESC und aus Aserbaidschan stammt. Stimmlich macht sie in der Studioversion einen unfassbar guten Eindruck. Auf der Bühne sieht das so aus. 


Ihre Stimme ist wirklich sehr kraftvoll, aber die Töne liegen dann doch manchmal nicht da, wo sie sie vermutet. Beim ESC hat sie ja viele Probedurchgänge und einen mörderischen Ambitus bietet dieser Song auch nicht. Die Background-Stimmen werden sie ja auch zusätzlich unterstützen und dann sollte das alles kein zu großes Problem werden.

Für die Performance wünsche ich mir etwas deutlich spannenderes als das Video, dass wirklich nach schnell schnell aussieht. Sie spielt gerne mit der Kamera und das ist logischerweise ein Vorteil in Stockholm. Nichtsdestotrotz würde ich auf jeden Fall auf Tänzer und Pyrotechnik zurückgreifen, einfach um diesen kraftvollen Refrain zu unterstützen. In den Versen sollte diese Aktivität dann doch etwas zurückgenommen werden, vor allem im ersten, da dann der Effekt im Refrain größer und bombastischer wird. Aber hier reicht ein solch simples Staging schon aus, aber da wir hier von Aserbaidschan reden kann ich fast schon versprechen, dass ihnen noch irgendeine übertriebene Idee einfällt.

Sie ist eine der ganz wenigen Acts, die ich im ersten Semifinale als bereits qualifiziert sehe, selbst wenn ihre Bühnenpräsentation schrecklich wäre. Das Lied ist schlicht weg zu gut, um schlecht abzuschneiden. Nach diesem Grundsatz wird Aserbaidschan im Finale in die Top-10 kommen, ich schätze sogar in die Top-5. Wenn aber einmal mehr (bestätigt ist nichts) Stimmen aus Malta, Zypern oder Tschechien gekauft werden, dann kann das auch ganz schnell ganz vorne landen. Aber egal wie gut ein Song aus Aserbaidschan auch ist, nur ein Wunder würde dafür sorgen, dass sie aus Armenien Punkte bekämen. 

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