Kroatien ist beim ESC so etwas wie das Portugal des Ostens. Es nahm erstmals 1993 beim ESC als eigenständiges Land an. Zuvor war es die fleißigste Teilrepublik von Jugoslawien, was ESC-Beiträge angeht. Auch der Sieg 1989 Jugoslawiens, geht auf das Konto einer kroatischen Gruppe. Doch seit der Unabhängigkeit kommt Kroatien an die großen Erfolge nicht mehr heran. Nach dieser ersten Teilnahme, sah man das Land ununterbrochen bis 2013 beim ESC. Die beste Platzierung gelang dabei 1996 und 1999 mit den beiden 4. Plätzen. In den Jahren 2014 und 2015 schmollte das Balkanland auf Grund von schlechter Ergebnisse. Daher rechnete niemand damit, dass sie zeitnah zurückkehren würden. Doch nur 2 Jahre später kriechen die Kroaten zu ihrem Peiniger zurück in der Hoffnung, dass er dieses Jahr gnädig sein würde. Und nach den aktuellen Fanreaktionen muss sich Kroatien darauf einstellen, dass man die Rückflüge erst nach dem Finale buchen sollte. In Kroatien durchaus eine Seltenheit, da in den letzten 4 ESC-Teilnahmen (2010-2013)das Land alles andere als knapp gescheitert war.
Dieses Jahr unterbrach man den kroatischen Vorentscheid Dora, um intern aussuchen zu dürfen. 2013 versuchte man das mit folklorischen Tönen ebenfalls und schied bereits im Semifinale aus. Warum soll es nun also besser werden? Möglicherweise, weil Kroatien wohl zum ersten Mal nicht eine Connection zum Land im Lied aufbaut, sondern einen internationalen Hit komponierte. Dieser wird nicht von einer ausgelutschten Balkangröße gesungen (sorry Kaliopi) sondern von dem wohl größten musikalischen Talents Kroatiens.
hier ist der kroatische Beitrag für den ESC 2016 von Nina Kraljić Lighthouse:
Dieses Video soll nur eine Überbrückungsversion sein, bis man es geschafft hat, sie an verschiedenen Küstenabschnitten Kroatiens zu verfrachten und dort tolle Aufnahmen zu machen. Sobald das neue Video online geht, werde ich es hier einfügen:
Nina ist ein Neujahrskind und 24 Jahre alt. Seit ihrer frühsten Jugend beschäftigt sie sich mit Musik und diese war auch der ausschlaggebende Grund dafür, dass sie mit 14 von Zuhause ausgezogen ist. Sie ist außerdem kein großer Partyfan, sondern umgibt sich lieber in einem kleineren, aber dafür engeren Kreis von Vertrauten. Ihr besonderes Merkmal sind übrigens nicht ihre 2 Tattoos, sondern ihre außergewöhnliche Stimme. Engelsgleich, melancholisch oder beruhigend sind wohl die passenden Ausdrücke dafür. Die Stimme von Jasmine Thompson (die eine von ain´t nobody) kommt ihr wohl noch am nächsten.
Bekannt wurde Nina, wie jeder zweite Sänger scheinbar, durch the voice. Die 2015´ner Staffel gewann sie eindrucksvoll mit einem riesigem Vorsprung im Finale. Schon in diesem Wettbewerb zeigt sie, dass man nur eine untypische Stimme braucht, um bekannte Lieder ganz anders zu interpretieren. Mit Preisen für ihre erste Single in Kroatien zugeschissen, fährt sie nun nach Stockholm, um möglichst viel Aufmerksamkeit auf dem Balkan zu erregen. Dadurch kann sie ihre Karriere über die kroatische Grenze hinaus erweitern.
Ihr Song startet mit einer kurzen Einleitung eines typischen Balkaninstruments. Danach kommt ihre Stimme die nur durch Beat, dem Holzblasinstrument und einer Harfe getragen wird. Der Refrain baut sich langsam auf, setzt sich dann doch stark vom Vers ab. Der Instrumentalteil wird durch sie unterstützt und ist dadurch kein Instrumentalteil mehr. Der zweite Refrain ist deutlich lauter, aber dennoch weit davon entfernt, aggressiv zu klingen. Die Bridge existiert nicht, stattdessen kommt der klischeehafte Tonartwechsel,welcher in einen hymnischen letzten Refrain endet. Und gerade, als das Lied so richtig Schwung aufgenommen hat, ist es auch schon wieder vorbei.
Das Lied kommt super bei den Harcore-ESC-Fans an und ist einer von 2 oder 3 Fanfavoriten. Aber diese Ernennung ist nicht immer ein gutes Zeichen, da es immer mindestens einen dieser Favoriten im Semifinale erwischt. Kroatien hat genau dafür ein Händchen, also trotz gutem Song und annehmbarer Umsetzung auf der Bühne, auszuscheiden. Doch dieser Beitrag ist der wohl stärkste in der jüngeren Vergangenheit aus Kroatien.
Dass sie Englisch singt liegt wohl an der mangelnden Selbstsicherheit Kroatiens. Instrumental gesehen ist es zwar keine Balkanballade, aber würde Bosnien als erfolgreiches Balkanland das schicken, wäre es zu 100% in Landessprache. Aber da es auf Englisch ist, wurde hier sehr sehr clever und geschickt nationale Identität mit europäischen Musikstilen verbunden. Sie singt sehr verständlich, was für Songs aus dem Osten nicht immer selbstverständlich ist. Das einzig wirklich negative was ich zu diesem Song sagen kann ist, dass der zweite Vers etwas sehr kindlich gereimt klingt.
Harbous near
no more fear
wall of clouds disappears
so I steer
to the pier
in tears
Der Tonartwechsel zu Schluss ist im Gegensatz zu vielen anderen Songs, wirklich passend und dramaturgisch vollzogen. Das ändert natürlich nichts daran, dass das einigen nicht gefällt.
Mich persönlich hat die perfekte Stimme in der Studioversion sogar ein weinig Angst gemacht. Einfach aus dem Grund, da ein normaler Mensch stimmlich dieses Level kaum halten kann. Dadurch würde Kroatien dann beim ESC enttäuschen und wäre einmal wieder raus. Dann sah ich sie allerdings im serbischen Frühstücksfernsehen und sie hat das Lied stimmlich brillant raus gehauen. Gestik war leider gar nicht vorhanden und das sollte dringend geändert werden. Hier kann man den Auftritt sehen.
Stimmlich ist das natürlich sensationell, aber trotzdem haben sich meine Zweifel nach diesem Auftritt verstärkt. Sie singt ihn zu perfekt. Sie trifft die Töne ohne sich dabei anstrengen zu müssen. Um es in Bruce Darnells Worten zu sagen: Drama Baby, drama! Sie kann das Lied ohne Ausdruck in Mimik und Gestik einfach nicht an den Mann/Frau bringen. Die blauen Haare lassen auf eine charismatische Interpretin hoffen und am Ende hat sie in etwa soviel Charisma wie eine verschimmelte Kiwi.
Aber wie würde ich das auf der Bühne retten wollen? Naja, dass im Hintergrund die Landschaftsbilder zu sehen sind, sollte wohl klar sein. Ich würde das ganze Showkonzept auf Werbung für den Tourismus in Kroatien auslegen, also wunderschöne Landschaften auf den LED-Screens zeigen. Dann würde ich ihr einen Crashkurs in Schauspielerei geben, damit sie bei den hohen Tönen ein etwas angestrengteres Gesicht macht und gar ihre Hände benutzen würde. Um sie aber etwas aus der Schussbahn zu nehmen, würde ich Tänzer auf die Bühne bringen. Am besten ein tanzendes Paar, welches übertrieben dramatisch über den schwedischen Boden tanzt. Ach ja, man muss natürlich noch einen Effekt mit einem Licht machen, wegen Lighthouse, also Leuchtturm. Da würde aber mir zu Beginn eine Einstellung reichen und am Schluss im LED-Schirm einen Leuchtturm, der auf einer wunderschönen Düne steht.
Kroatien ist zurück, keine Frage, doch das Wunder von Stockholm sehe ich für Kroatien nicht. Eine Finalqualifikation ist durchaus möglich, aber bei der Charismaresistenz der Protagonistin auch nicht sicher dabei. Kroatien ist im Moment der klare Fan Favorit, der den Sprung ins Finale nicht schaffen wird. Schade eigentlich, denn stimmlich ist das ein Meisterwerk.
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