So langsam nimmt der ESC Fahrt auf. Grund genug, zu überblicken, was uns im Mai erwarten wird. Die ersten Kandidaten stehen schon seit einiger Zeit fest. So vertrauen Österreich, Aserbaidschan, die Niederlande, Belgien, Mazedonien, Griechenland, Irland und Zypern auf interne Nominierungen, derren Namen bereits fest stehen, die Lieder jedoch erst später veröffentlicht werden. Dazu kommen dann noch Russland, Bulgarien, Kroatien, Serbien, Frankreich, San Marino, Tschechien und Montenegro hinzu, die allerdings noch keinen Kandidaten auserwählt haben. Armeniens Interpret steht ebenfalls schon fest, gewann einen Vorentscheid allerdings ohne Song. Alle restlichen Länder bestreiten einen Vorentscheid. In drei Fällen stehen die Sieger schon fest.
Albanien Lindita Halimi mit Botë
Die kosovarische Sängerin Lindita Halimi gewann am Vorabend des heiligen Abends, das traditionsreiche FiK. Festival i Këngës. Dieser Vorentscheid ähnelt stark dem San Remo Festival, mit Orchester, eher konservativer Musik und schicker Abendgarderobe. Ein Bewerbertyp setzt sich hierbei regelmäßig durch. Eine schöne Frau mit großen braunen Augen, die sich die Seele aus dem Leib schreit. 2009-2012 und 2014-2016 war das der Fall.
2017 war die Qualität des Wettbewerbs deutlich geringer als 2015 oder 2016. Die modernen Ansätze infinite und asaj (2016) wurden 2017 nicht fortgeführt und es blieb alles relativ blass. Am Ende überzeugte die in Amerika lebende Lindita die Jury und die Zuschauer (die erstmals abstimmen durften) am meistens. Wenig überraschend singt sie eine laute Ballade und hat große braune Augen. Lindita hat einiges an Erfahrung, nahm an American Idol teil und ist eine Bekannte von Jennifer Lopez. Dazu hat sie eine bewegende Gewichtsverlustsgeschichte, welche sie auf das Cover eines amerikanischen "Brigitte"-Abklatsches brachte. In ihrem Song Botë, Welt, geht es um unseren Planeten, dem es immer schlechter geht. Ein Augenwink auf Donald Trump? Man weiß es nicht. Was man allerdings weiß ist, dass sie den Song selbst geschriehen, pardon, geschrieben hat und zwar auf Englisch. Sie trat bereits 2015 beim FiK an, scheiterte aber an Elhaida Dani und nahm sich die Kritik zu Herzen, dass ihr damaliger Beitrag zu modern war. Somit ließ sie ihren Beitrag dieses Jahr älter wirken und diese Taktik zahlte sich aus.
Bis zum ESC möchte sie den Song noch ordentlich umkrempeln, Englisch, moderner, besser. Da gebe ich ihr recht, denn bisher wirkt es eher wie eine Warmmachübung für ihre Stimmbänder. Stimmlich ist das nicht besser zu machen, aber daran scheitert es selten in Albanien. Das Problem ist es, den Song modern und spannend zu gestalten. Insbesondere, wenn man ihn in Englisch performen will. Und ich hoffe, dass uns der "albanische Revamp" dieses Jahr ersparrt bleibt, dieser ist nämlich die schlimmste Verschlimmbesserung im ESC-Universum. Wozu das führt, sahen wir letztes Jahr, nämlich einem abgeschlagenen Semifinalausscheiden.
Georgien: Tako Gachechiladze mit Keep the faith
Am 20.01 vollführte Georgien als nächstes Land seinen Vorentscheid, und was für einen! 25, in Worte fünfundzwanzig, Beiträge umfasste der georgische ESC. Während des Hörens der Studioversionen, hatte ich schnell einen Favoriten, der sich live allerdings abschoss. Harmonik scheint kein georgisches Wort zu sein, da viele Acts live mehr als nur enttäuschten. Dazu kam oftmals eine minimalistische Bühnenshow hinzu, was die Aufregung doch etwas brach. International wurde schnell eine Favoritin gefunden: Tako.
Die 33-jährige mit den wohl schönsten Haaren seit Serbien 2009, setzte sich am Ende mit der Weltverbesserungsballade durch. Sehr rise like a Phoenix mäßig war ihr Auftritt performt. Am Ende leuchtete sogar die ins Kleid integrierte Lichterkette, WAHNSINN. Keep the faith ist eine sehr stark gesungene Ballade, welche sehr düster und unheimlich geschrieben wurde, von Tako selbst. Dabei singt auch sie sich die Seele aus dem Leib, rettet sich am Ende aber in den Chor, also etwas Arbeit muss da noch gemacht werden. Textlich kann man sie praktisch neben Albanien legen, genau da ist das Problem. Die beiden Lieder ähneln sich in Text, Stimmung, Aufbau und der Performance. Sollte Lindita also nun auch noch auf Englisch setzen, kann man beide kaum noch unterscheiden. Während Botë etwas armosphärischer ist, bleibt Keep the faith eher im Ohr hängen.
Dann kommen wir zum nächsten Problem. Der Background. In diesem erschienen nämlich Schlagzeilen, die einigen Nationen nicht gefallen werden, vor allem Russland. So zum Beispiel: "Russland marschiert in Georgien ein" Fraglich ist, ob die EBU solche Botschaften zulässt, es also als politische Botschaft sieht und nicht als historischer Fakt. Ich persönlich sehe es als historischen Fakt an und würde es daher erlauben. Anders sähe es allerdings aus, wenn man den Konflikt mit der Ukraine einblenden würde, da Russland sich ja offiziell als unbeteiligt dar stellt. Aber das ist ein anderes Thema.
Ohne Tako hier etwas vorwerfen zu wollen, aber ich sehe dort ein sehr brisantes politisches Potential. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass Taco damit beim ESC auffällt. Taco war 2009 Mitglied der disqualifizierten Gruppe Georgiens mit dem Titel we don't wanna put in. Anhören, daran denken, dass es einen Krieg im Jahr zuvor mit Russland gab und Wladimir Putin Präsident war.
Der Alptraum eines jeden ESC-Fans ist jährlich die Reise in das spärlich besuchte Weißrussland. Nach dem in früheren Jahren oftmals der Beitrag einfach gewechselt wurde, konnte man in den vergangenen Jahren größere Skandale umschiffen. Allerdings ist oftmals der größte Skandal das Teilnehmerfeld. Dieses besteht aus untalentierten Abklatsch aus den 80-ern, ein Großteil jedenfalls.
Dieses Jahr konnte man die Qualität des Felses verbessern, was uns aber nicht vor stimmlichen Totalaussetzern schonte. International war es ein Zweikampf zwischen einer der bekanntesten Bands im kleinen Ruasland und einer Indiefolk-Band, die im dritten Anlauf zum ESC fahrem wollte. Am Ende des Abends wurde klar: Alle guten Dinge sind drei!
Die Band Navi wird somit das erstemal einen Song beim ESC auf weißrussisch präsentieren, Premiere dieser selten gehörten Sprache. Der Song Historyja majho zyccia, zu Deutsch Geschichte meines Lebens, ist ein super einprägsmaer Folkpopsong, der ordentlich zum mitwippen anregt. Das Duo verfügt über eine gute Harmonik und auch die Einzelstimmen sind sehr gut, wobei die Dame den Lockenkopf doch übersingt. Die Stimmung wird ausschließlich über die Musik verkörpert, die Lyrics könnten somit auch völlig unpassend sein, da sie sowieso niemand versteht (wobei Ukrainisch, Russisch und Polnisch sehr verwandte Sprachen sind)
Beim Vorentscheid konnten sie die Herzen des Publikums erobern, die Jury nur bedingt mit einem 5. Platz. Dass diese Kombination tatsächlich für den Sieg reichen kann, galt als relativ unwahrscheinlich. Nun dürfen die gut gelaunten Sänger nach Kiew reisen. Ich wage eine Prognose: Je näher wir an den ESC kommen, desto mehr Stimmen werden auf ein Ausscheiden setzen, denn der Song hat ein großes Problem: Die hey hey hey- Schreie nerven ziemlich schnell. Aber auf Grund der aktuell depressiven Phase Europas (Balladen werden dieses Jahr keine Mangelware sein) ist dieser Beitrag perfekt. Unbeschwert, Locker und catchy. Nach dem ersten Hören, wird schon eifrig mitgesungen, zumindest gesummt. Die breite Masse könnte dieser Farbtupfer in der grauen Masse sehr gut gefallen. Und der BelaExit fürs Finale, der vergangenen beiden Jahre, könnte vergessen gemacht werden.
Das erste offizielle Video im Jahrgang 2017 haben sie auch veröffentlicht.
Wenn wir die ersten drei Songs betrachten, lassen sich noch nicht all zu viele Rückschlüsse ziehen. Die Semifinalauslosung kann da dann etwas mehr Licht ins Dunkel bringen, wobei ich sagen muss: Im Moment gefallen mir alle drei Beiträge ziemlich gut. Stand heute würde ich Belarus auf die 1, Georgien auf die 2 und Albanien (in der aktuellen Version) auf die drei setzen.
Die nächsten Vorentscheide werden aus Uk, Finnland und der Schweiz kommen. Dazu noch die Auslosung der Semifinals.
#roadtokiew
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